Die Erfindung des boshanlu
 
     
     
 

 

Einführung

Ziel dieser Arbeit ist, einige Aspekte des sogenannten boshanlu 博山爐 (Abb. 1) näher zu untersuchen. Ausgangspunkt hierzu bildete ein Seminar bei Prof. Ledderose im Wintersemester 1997/98 zum Thema „Religiöse Paradiese in China und Japan“, in welchem anhand verschiedener Beispiele aus dem Kunstschaffen quer durch alle Epochen untersucht wurde, inwiefern die Kunstwerke Rückschlüsse auf Paradiesvorstellungen[1] zulassen bzw. wie sie in den einzelnen Kunstgattungen zum Ausdruck kommen.

Dabei ging ich von verschiedenen Thesen aus, die zum Teil auch schon in der Literatur aufgestellt worden waren.[2] Darin wurde beispielsweise vorgeschlagen, die boshanlu als kosmische Achse zu deuten, den Berg Sumeru, als Sinnbild für die Passage der ‚Seele‘ in den Himmel. Daraus könnte eine zentrale Funktion der boshanlu in den Gräbern gefolgert werden.

Eine andere These bezog sich mehr auf die mit einer Fußschale ausgestattete Untergruppe. Möglicherweise symbolisierten die Schale und der Schaft das Wasser des Ozeans. Dann könnten die Gefäßschale und der bergförmige Deckel die Insel der Unsterblichen penglai 蓬萊 darstellen. Der aus den Öffnungen aufsteigende Rauch würden demnach die Himmlische Sphäre verkörpern.

Doch zunächst einige allgemeine Bemerkungen zum Gefäßtyp boshanlu und seine Behandlung in der Literatur.

Als boshanlu 博山爐 oder boshan xianglu 博山香爐[3] werden heute Räuchergefäße bezeichnet, bei denen auf meist rundem Fuß und stämmigem Schaft eine Schale sitzt, die mit einem Deckel in Bergform abgeschlossen ist. Ohne Deckel ähneln die Gefäße sehr denen vom Typ dou .[4] Die Deckel können unterschiedlich detailliert ausgearbeitet sein. Manche zeigen viele einzelne Berggipfel mit Tieren und menschenartigen Wesen, bei manchen sind diese nur angedeutet oder ganz weggelassen. Manche ähneln einer Bergformation mit zentralem Haupt- und mehreren Nebengipfeln. Viele weisen Öffnungen auf, durch die bei Gebrauch der Rauch abziehen kann. Bei anderen fehlen sie. Einige dieser Räuchergefäße stehen in einer größeren Fußschale.

Insbesondere die Bergform des Deckels und die figürlichen Darstellungen auf Fuß und Gefäßschale zeichnen diese Gefäße aus. Sie bilden die Basis der Diskussion über mögliche Deutungen. Die wesentlichen Arbeiten westlicher Forscher zu diesem Thema sind die Untersuchungen von Bertold Laufer[5] und Susan Nell Erickson[6]. Weitere Forschungen beschäftigen sich mit den boshanlu unter anderen Gesichtspunkten, zumeist werden kosmologische Deutungen und Interpretationen der Form oder des figürlichen Dekors vorgeschlagen.[7] In den letzten Jahren fanden diese Gefäße auch in der chinesischen Forschung zunehmend Beachtung, wobei sich diese Arbeiten stärker auf die Zusammenstellung und Gruppierung von Fundstücken sowie den Zusammenhang mit Textstellen bzw. auch die Deutung der Gefäße aufgrund von Texten konzentrieren.[8]

Die Recherchen zur Literatur ergaben, dass die Fragestellungen an die Gefäße sowie die daraus resultierenden Zusammenhänge weitaus komplexer waren, als dass sie im Rahmen einer Seminararbeit umfassend zu behandeln gewesen wären. Vielmehr würden sie eine detaillierte Kenntnis der Mythologie der Westlichen Han-Zeit in verschiedenen Gegenden während mehrerer Regierungsperioden voraussetzen. Für eine Ikonologie der boshanlu kann ich daher nur auf die hier bisher am weitesten vordringende Arbeit von Erickson verweisen.[9]

Aufgrund meiner geringen Kenntnisse der Mythologie der Han-Zeit beschränkte ich mich auf die ikonographische Fragen und konzentrierte mich darauf, die in den Ausgrabungsberichten zusammengestellten Fakten zu systematisieren und danach das Material auf einzelne Fragestellungen hin zu untersuchen.

Wichtig erschien mir dabei zunächst, ob die Räuchergefäße im Grab eine Sonderstellung innehatten, was sich im Grabungsbefund widerspiegeln müßte. Daher untersuchte ich die verschiedensten Ausgrabungsberichte, um zu sehen, ob Räuchergefäße an zentralen Stellen im Grab aufgestellt waren oder ob sie überhaupt einen eigenen Platz innehatten.

Eine weitere bedeutsame Fragestellung schien mir die Bezeichnung der Gefäße zu sein. Die Benennung „Bo-Berg Räuchergefäß“ assoziiert gewisse Vorstellungen, wie zum Beispiel mögliche religöse oder rituelle Verwendung oder Bedeutung der Gefäße, ohne jedoch über die Herkunft des Namens Auskunft zu geben. Der zweite Problemkreis war daher die Untersuchung der Bezeichnungen und Inschriften auf den Gefäßen.

In der Fortführung dieser quellenkundlichen Untersuchungen sind die überlieferten Textstellen von entscheidender Bedeutung, da sich aus ihnen Hinweise zur Funktion und Bedeutung der Gefäße ableiten könnten. Der dritte Schwerpunkt meiner Arbeiten war daher die systematische Untersuchung klassischer Texte auf die Verwendung von Bezeichnungen wie boshanlu oder xunlu 薰爐 und das Kategorisieren nach Kontext und Zeit der Textentstehung.

 
     
 
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[1] Einen guten Überblick über die diesbezüglichen Vorstellungen in China bietet Bauer (1974). Auf die Problematik, ob oder wie weit der Paradiesgedanke oder westliche, meist religiös beeinflußte Jenseitsvorstellungen überhaupt auf ostasiatische Kulturen angewandt werden können, soll hier nicht weiter eingegangen werden. back

[2] Erste Bezugspunkte im Seminar waren Ledderose (1982) und Ledderose (1983). back

[3] Diese Bezeichnungen verwende ich synonym. Für eine Begriffsbestimmung siehe Sun (1991) bzw. meine Übersetzung in Anhang 1. Siehe auch M 2761..69-70; HYD IX, S. 908; ZWD 2808..9-13. Zu den Gefäß-Inschriften siehe Abschnitt „Inschriften“ weiter unten. back

[4] Erickson (1992), S. 6. back

[5] Laufer (1909), S. 174-211. back

[6] Erickson (1989), Erickson (1992) und Erickson (1996/97). back

[7] Unter anderem Wenley (1948/49), Needham, Fontein/Wu (1973), Nelson (1980), Ledderose (1983), Sturman (1985), Berger (1987), Sun-Bailey (1988), Munakata (1991). back

[8] Shi (1962), Sun (1991) S. 358-364, Lidai xiangju (1994). back

[9] Erickson (1992). Die Arbeit Schaeffler-Gerken (1998) lag leider bis Anfang Juni 2001 noch nicht vor. back