Die Erfindung des boshanlu
 
     
  Teil 2.2  
 

Die Texte

Nachdem die Inschriften gezeigt haben, dass der Term boshan nicht auftaucht, soll nun in der Literatur nach diesem Begriff gesucht werden. 

In Heidelberg kann auf eine ausgezeichnete Recherchemöglichkeit zurückgegriffen werden: die digitalen Textdatenbanken des Sinologischen Institutes, darunter vollständig erfaßt die Fünfundzwanzig  Dynastiegeschichten. Dank der guten Suchfunktion kann der Gesamttext schnell und effektiv auf Worte bzw. Zeichenkombinationen durchsucht werden. Vorraussetzung ist lediglich eine sinnvolle Wort-/ Zeichenwahl, die mögliche Schreibvarianten und die daraus resultierenden Kombinationsmöglichkeiten berücksichtigt.

Der Begriff boshan taucht in den Dynastiegeschichten[39] 94 Mal auf. Jedoch haben diese Tetxstellen zunächst nichts mit dem Räuchergefäß zu tun. Vielmehr geht es, zum Teil in modernen Textanmerkungen, um den Kreis Boshan (z.B. Textstellen 1-3), um den Titel „Fürst von Boshan“ (boshan hou, z.B. Textstellen 4-8) bzw. „Herr von Boshan“ (boshan gong, Textstellen 51-52), um Zubehör zu einer bestimmten Art von Beamtenkappe (tongtian jin boshan guan, z.B. Textstellen 14-18, 23-46) oder um eine Art Tanz oder akrobatische Übung (z.B. Textstellen 19, 21). Erst die 47. Textstelle, hier sind wir schon im Jiutangshu, Abschnitt Lieder und Musik, nennt einen boshanlu, der hier in einem Liedtext vorkommt.[40] Die nächste Erwähnung des Begriffes boshanlu (geschrieben mit lu4) findet sich erst wieder in Textstelle 58, die aus dem Songshi, Abschnitt Musik stammt. Es handelt sich hier allerdings ebenfalls nicht um die Bezeichnung eines Räucherwerkbrenner, sondern um eine bestimmte Liedgattung, die zur Familie xiaoqu, Gruppe gaogong gehört.

Es ist also festzustellen, dass der begriff Boshan im Sinne von „boshan-Räucherwerkbrenner“ in den Dynastiegeschichten bis auf eine Ausnahme nicht auftaucht. Daraus folgt entweder, daß diese Gegenstände dynastiegeschichtlich völlig unbedeutend gewesen sein müssen, oder es waren andere Bezeichnungen für Räuchergefäße allgemein in Gebrauch - was wiederum gegen eine besondere Stellung der Räuchergefäße vom Typ boshanlu spräche. Für letzteres sprechen die Inschriften auf den Stücken, die im vorherigen Abschnitt besprochen wurden.

Daher habe ich die Texte nach verschiedenen Wörtern für „Räucherwerkbrenner“ durchsucht. Die dabei geprüften Kombinationen und deren zahlenmäßigen Ergebnisse sind in Fig. 3 „Zeichenkombinationen“ aufgelistet.

  Fundstellen in den 25 Dynastiegeschichten (二十五史)
  boshan 博山 94
 
   
lu1
lu2
lu3
lu4
xiang
  xiang
69
x
45
4
-
  xun1
1
x
x
x
x
  xun2
x
x
2
x
3
  xun3
x
x
x
x
x
  tong
2
x
4
x
-
  shan
1
(中山盧奴人)
x
1
-
 
   
xiang
xun1
xun2
xun3
 
  shao
41
x
x
1
 
  yan
1
x
1
x
 
  Fig. 3: Zeichenkombinationen

Die Übersicht zeigt zum einen, dass Räucherwerkbrenner durchaus erwähnt werden, nur eben nicht „boshan-lu“ genannt werden. Außerdem kann festgestelllt werden, daß von 19 möglichen (sinnvollen) Kombinationen nur zwei tatsächlich häufig benutzt wurden, während 13 –im Kontext der Dynastiegeschichten- offenbar nie und die restlichen nur sehr selten Verwendung fanden. Das erste Zeichen der zwei häufig genutzten Wörter ist dabei jedesmal xiang.

xiang lu1 wurde insgesamt 69 Mal gefunden. Die früheste Textstelle entstammt einer Anmerkung im Houhanshu, bezieht sich jedoch auf einen Bergnamen. Die zweite Textstelle findet sich im Songshu bei der Beschreibung historischer Beamtenränge, deren Untergebenen, Dienern und „Attributen“. Hier sind es zwei weibliche Bedienstete des Shangshulang[41], die bei bestimmten Zeremonien Räuchergefäße in den Händen halten. Die nächsten Textstellen erwähnen xianglu in Zusammenhang mit dem Nachlass eines Mönches, den letzten Anweisungen eines Sterbenden, dem Traum einer werdenden Mutter oder in der Beschreibung des Roterdelandes (chituguo) auf, womit wir schon im Jiutangshu, also in der Zeit 940-945, angelangt sind.

xiang lu3 wurde 45 Mal gefunden. Die erste Textstelle stammt aus dem Houhanshu und beschreibt in einer Anmerkung ebenfalls die Bediensteten des Shangshulang. Danach wird die Form eines Räuchergefäßes herangezogen bei einer Krankheit, werden xianglu beschrieben im Ausland, seine Asche benutz als Gleichnis oder Mönche bzw. Himmelswesen erscheinen Personen im Traum mit Räucherwerkbrennern in der Hand.

Bei beiden Wörtern ist festzustellen, daß sie allgemein erst relativ spät benutzt werden und dabei oft in religiösem Zusammenhang erwähnt werden (Träume, Mönche) bzw. die geschilderte Situation ausschmücken. Allein die Beschreibung der zwei weiblichen Bediensteten des Shangshulang bilden die Ausnahme.

< p>Die 4 Treffer des xiang lu4 beginnen erst im Songshi, der von xun1 lu1 im Tangshu, die beiden xun2 lu3 ebenfalls.

Wenn also in den dynastischen Quellen keine frühen Belege für boshanlu-Räucherwerkbrenner zu finden sind, stellt sich hier noch die Frage, ob ein Zeitraum eingegrenzt werden kann, in welchem der Begriff aufzukommen scheint.

 
     
 
Inhaltsverzeichnis
Vorhergehender Teil:
top
Nächster Teil:
Die Inschriften   Die Erfindung des boshanlu
 
     
 

[39] In der Chronologie der Dynastiegeschichten folge ich Wilkinson (1973)## neuere Ausgaben?, S. 72ff. Alle geprüften Textstellen finden sich auch im Anhang als Ausdrucke aus der Datenbank. back

[40] Die Stelle lautet:

   暫出白門前。
   楊柳可藏鳥。
   歡作沉水香,
   儂作博山爐。

   „Eine kleine Weile treten wir hinaus vor das Weiße Tor.
   In den Weiden können sich Krähen verstecken.
   Freudig bereiten wir das shen- und shui-Räucherwerk,
   Ich bereite den boshan-Brenner.“
Jiutangshu 29, zhi 9, yinyue 2, Yang Ban Er, S.1066. back

[41] Hucker (1985) #5047, „Secretarial Court Gentleman“. back