1.2.2002
Sfumato = "Malweise, bei der weiche, verschwimmende Licht-Schatten-Modellierungen
in zarten Lasuren den Bildeindruck bestimmen" (Da Vinci + Schüler)
Komisch. Irgendwie hatte ich eine andere Assoziation mit diesem Begriff
verbunden. Mehr Kraft, plötzlich hereinbrechende Akkorde. Hatte
mir eingebildet, das wäre tatsächlich ein Begriff aus der
Musik. Aber vor längerem schon mal nachgeschaut und es wieder vergessen,
wohl weil der Begriff mit der Malweise erklärt wurde.
Nun heute der Film mit diesem Titel. Zur Musik eines Gitarrenquartettes.
Alef-Auftragskomposition. Wenige Worte von Prof. Belting, einige Worte
des Filmemachers, Andreas Brehmer. Dann hinein ins kalte Wasser.
Alles überraschend. Am Anfang viele Blenden in Schwarz. Dazu ohne
erkennbaren Bezug die Musik, komponiert von Markus Hechtle. Kurzes,
"scharfes Flamenco-Rasseln" - wie immer das genannt wird.
Dann leichte, lang schwingende, dissonante Akkorde, meist mit Tonabständen
kaum über einer Oktave. Nicht groß. Zunächst versucht
man, die Musik in einen direkten Zusmmenhang mit den Bildern zu bringen.
Das funktioniert aber nicht. Nun kommen mehrere close-ups, nur die Augen
oder ein Gesichtsausschnitt. Dazwischen Schwarz. Dazu klingend-knallende
Akkorde. Man versucht, eine Narration hineinzudenken. Männerblick.
Frauenblick - Blick niederschlagen. Auch hier ein dead-end. Die Musik
nun ohne die scharfen Akkordschläge, mehr ein "Pling-plang-plong"
verschiedener Akkorde, oft 3-5er Folgen, deren Klang durch Obertöne
erzeugt (Flageolett) und sehr lange gehalten wird. Zu diesem Ton-Aushalten,
"verklingen-lassen" entsteht auch ein Bezug, an den ich mich
zu klammern versuche. Die Bilder sind zum Teil vom TV abgefilmte Aufnahmen
einer Probe der Gitarristen, teilweise noch stills daraus. Sie beginnen
stärker zu flimmern, das Rauschen des Fernsehbildes wird als Stilelement
eingesetzt. Stills bleiben stehen, alles durch Überblenden/ Ausblenden
weich ineinander übergehend, verschmelzend. Kurz bewegtes Bild
bleibt stehen, "friert ein" - die Kamera wird aber "über"
nun stehende Bild weiterbewegt, von der unscharfen aber noch als Musiker
erkennbaren Person oft über den Gitarrensteg hinaus in den leeren
Raum gleitend. Durch die verschwommene grobe AUflösung ist auch
der Raum mit einer besonderen Tiefe versehen. Dann dazwischen Verselbständigung
des Flimmerns, die Bildpunkte verschmelzen zu Farbtafeln, RGB in Variationen,
bis hin zum reinen Farbton, wenn auch im Video kaum noch als reine Farbe
zu erkennen - eher grüngelb z.B. Doch die reine Farbe oder ein
Rausch-Streifen auf dem TV-Bild in Orange bleiben seltsam ohne Bezug
zur Musik. Auch Akkordfolgen werden in den Bildern nicht wiedererkennbar
- zumindest nicht für mich. Alles in ständiger Wiederholung,
und doch immer anders, ein Gleiten zwischen bewegten Bildern, in stills
verhaftend aber den Blick weiterführend in den Klang. Nur nicht
parallel zum Klang. Wenn ein Akkord gehalten wird, ist meist das Bild
bewegt, und umgekehrt. Bilder können nicht Klängen zugeordnet
werden; nicht Farben, nicht Personen, nicht Rauschen der Musik zugeordnet.
Nach ca. 15 Minuten entsteht eine Längung für mich. Ich lehne
mich zurück und lasse die Versuche einer Zuordnung oder der Suche
nach einem Zusammenhang sein. Es gibt ihn nicht. Oder er besteht eben
in der Parallelität. - Die Musik verschwommen - unscharf - verklingend;
die Bilder verschwommen, verharrend, der Blick aus dem angehaltenen
Einzelbild hinausgeführt, das Bild "verklingen" lassend.
Ein Zusammenhang zwischen den Personen scheint manchmal zu entstehen,
wird aber wieder negiert. Hinterher hieß es, es sollte ein "virtuelles"
Bild der vier Spieler, quasi ein Nebeneinander, assoziiert werden, das
fand ich allerdings nicht so überzeugend. "Probenatmosphäre"
wurde von jemandem empfunden, aber sicher nur in einer Art "Studio-Umgebung",
keine im Sinne einer Probe, bei der man sich noch aufeinander abstimmen
muss... Doch diese Studio-Ruhe war schon da. Erstaunlich, wie sehr sich
Bild und Musik ergänzten obwohl es keinen Zusammenhang "an
sich" gab. Eine Ergänzung der Musikkomposition durch eine
"Bilder-Komposition", die auf ähnlichen Grundlagen aber
dennoch unabhängig voneinander agieren und ein Ganzes bilden.
Gegen Ende des Filmes verstärkt Synchronität von Bildwechsel
und Akkordschlag. Darauf hatte ich gewartet, danach hatte ich gesucht,
und doch empfand ich es nun als schon fast zu plump, zu vordergründig.
Am Ende - schon ohne Musik - laufen noch Farbtafeln eine Zeit weiter
und assoziieren Klänge, wo schon keine mehr da sind. Ein erstaunliches
Phänomen.
Nur wenige Stellen brechen aus dem Ganzen aus oder fallen bewußt
heraus. An einer Stelle des ersten Drittels etwa, wird die farbige Fläche
mit dem Rauschen witzigerweise wie in einen "Rahmen" gesetzt,
also das Bild quasi kurz verkleinert. Wie ein Fehler. Oder wie ein "Zurückrufen"
in die "Realität", nach dem Motto - "Hey, es ist
alles nur Illusion!" An einer anderen Stelle, später im Film,
verzerrte Bilder wie von schnellem Zurückspulen. Dieses Gestaltungsmittel
oder zumindest seine Assoziation empfand ich aber als weniger passend
oder "gut". Das Spiel mit dem durchs Bild wandernden Streifen,
wie man es vom TV kennt, fiel dagegen nicht so sehr als "gimmick"
auf, passte vielmehr in die Reihe der "bildlosen" oder besser
"gegenstandslosen" Bilder. Hier wurde variiert, und mir fiel
dabei auf, wie wenig der Klang - vielleicht nur wegen der Technik im
Raum - zwischen den vier Spielern differenziert. Ein Spiel mit den Positionen
der Gitarren, beispielsweise im Extremzustand eines angenommenen quadratischen
Raumes mit der Besetzung der vier Ecken, der Zuörer/ Zuschauer
in der Mitte. Oder, um besser im vielleicht eher gewollten Bild zu bleiben,
die Akkustische Nebeneinanderreihung der vier Instrumente, wie es die
zweidimensional gleitenden "Blicke" über die Stills andeuten
sollten. So klang Gitarre 1 wie Gitarre 4 und das Kommunizieren der
Instrumente konnte nur schwer vorgestellt werden. Allerdings verstand
ich die im letzten Drittel wiederkehrenden closeups der Spieler, ihre
gespannten, konzetrierten Augen-Blicke, durchaus als Kommunikation untereinander.
Jedoch konnte sich der Gedanke nicht festsetzen, da der Zusammenhang
Bild-Ton gleich wieder aufgelöst wurde.
Auch im Nachhinein ist es schwierig, die Musik oder ihren Charakter
in Worte zu fassen. Nicht zuletzt durch die sich immer dazwischendrängenden
Bilder des Films. Jedoch erscheint der Titel "Sfumato" in
der Bedeutung aus der Malerei durchaus als gut gewählt - alles
und doch nichts sagend. Nicht festlegend. Während des Films hatte
ich stellenweise den Eindruck von Planlosigkeit beim Macher. Es war
kein System hinter dem Ganzen erkennbar, zB. eine Akkordfolge, die bestimmte
Bilder nach sich zieht. Alles schien zufällig. Und war doch nur
eine andere Ebene des Ganzen.
Meine Schwierigkeiten bestanden wohl in mehreren Dingen. Zum einen war
die Musik sehr ungewöhnlich, "ausgefallen". Gitarrenquartett,
harmonische Dissonanzen, Melodielosigkeit, Klangspiele, "klimpern",
Spiel mit Obertönen und Raumklang. Zum anderen die Bilder, unscharf,
Stills aus Schwenks(!), Spiel mit RGB, Überbetonung - ja Verselbständigung
- des Bildrauschens, der "Nachhall" im Bild, überraschende
Rein-Farb-Bilder. Zum dritten die scheinbare Bezugslosigkeit der zwei
Ebenen - Ton und Bild, die doch letztenendes mit den gleichen Mitteln
zu arbeiten versuchten, nur in unterschiedliechn, sich hier erst auf
den dritten Blick ergänzenden Medien.
Ursprünglich war wohl geplant, das Spiel der vier Gitarren live
in einem abgeschlossenen Raum per Kamera aufzunehmen und nach draußen
zu geben und dann "on the fly" die Bilder zu mischen und in
einer Art Live-Performance auf die Klänge mit den Bildern zu reagieren.
Wohl sowohl automatisch als auch über manuell zu beeinflussende
"Bildmischer". Wäre sicher eine spannende Sache geworden,
jedoch hilft die Ruhe im abgeschlossenen Kinoraum auch sehr, sich auf
Klang und Bild zu konzentrieren, sich fallen zu lassen.
Immersiveness der Raumes, sozusagen.
Ein sehr interessantes Projekt von der Auseinandersetzung mit Musik
durch filmische Mittel. In diesem Fall ein außergewöhnliches
Ergebnis, dank der außergewöhnlichen Musik und der langen
Zeit der Auseinandersetzung mit den filmischen Mitteln, die immerhin
ein dreivierteljahr gedauert hat.