Taiwan heute, 16. Jg. Nr. 3, Mai/Juni 2003
 
     
 

"Gemeinsames Kulturerbe der menschlichen Zivilisation"

Tu Cheng-sheng, Jahrgang 1944, studierte Geschichte an der National Taiwan University in Taipeh und an der University of London. Später lehrte er an mehreren taiwanischen Hochschulen, wurde 1992 Mitglied der Academia Sinica und war 1995 bis 2000 Leiter des Instituts für Geschichte und Philologie der Academia Sinica. Seit dem Jahr 2000 ist er der Direktor des Nationalen Palastmuseums Taipeh. In einem Interview mit Taiwan heute sprach er unter anderem über die bevorstehenden Ausstellungen seines Museums in Berlin und Bonn. Es folgen Auszüge.

Interview: Tilman Aretz und Chen Keh-miin

[Bild] Die von Deutschland versprochene Gegenausstellung beim NPM in Taiwan wurde bei einer Vertragsunterzeichnung in der Nationalgalerie Berlin perfekt gemacht. (Courtesy National Palace Museum)

Taiwan heute: Herr Prof. Tu, warum hat das Nationale Palastmuseum Taipeh (NPM) bei den Verhandlungen mit der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (KAH) auf einer Gegenausstellung bestanden?

Prof. Tu Cheng-sheng: Das ist sozusagen ein Grundprinzip im NPM, seit in den neunziger Jahren größere Ausstellungen ins Ausland geschickt wurden. 1998 war unsere Ausstellung im Grand Palais in Paris, und 2001 wurden im Gegenzug französische Kunstgegenstände im NPM ausgestellt. Die Deutschen hatten für unseren Wunsch vollstes Verständnis.

Bei einer Auslandsausstellung kommt für die Kosten für Transport und Versicherung natürlich die Gegenseite auf, aber manche Museen verlangen beim Verleihen von Objekten von der Gegenseite eine Leihgebühr. Wir tun das nicht. Unserer Ansicht nach sind diese Kunstgegenstände Bestandteil des gemeinsamen Kulturerbes der menschlichen Zivilisation, und da ist es nur natürlich, dass sie in verschiedenen Museen auf der ganzen Welt gezeigt werden, damit sie von Menschen aus verschiedenen Ländern bewundert werden können. Zwar nehmen wir von der deutschen Seite keine Leihgebühr, hoffen aber im Geist des gegenseitigen Teilens, etwas über die deutsche Kunst lernen zu können. Die deutsche Seite war da auch sehr enthusiastisch -- es ist das erste Mal, dass Gegenstände aus der Sammlung des Preußischen Kulturbesitzes nach Asien kommen. Die deutsche Seite erhebt übrigens ebenfalls keine Leihgebühr.

Was für ein kulturelles Rahmenprogramm soll die Ausstellungen in Deutschland begleiten?

Der Kern dieses Kulturprogramms betrifft das heutige Taiwan. Die Ausstellungen zeigen ja alte Gegenstände, und die Besucher sollen verstehen, was es in Taiwan neben diesen Objekten sonst noch gibt. Zu den Ausstellungseröffnungen soll es in Berlin und Bonn Aufführungen geben, etwa Löwentanzvorstellungen und Handpuppentheater, später folgen noch Darbietungen taiwanischer Musik- und Theatergruppen. Daneben wollen der Rat für Kulturangelegenheiten der Republik China ( Council for Cultural Affairs, CCA) und das Regierungsinformationsamt ( Government Information Office, GIO) Publikationen auslegen und Videos zeigen, etwa über die zeitgenössische Kunst, Kultur und Religionen in Taiwan. Auf diese Weise können die Deutschen begreifen, welcher Art die Kultur Taiwans ist.

Welches sind die Hauptschwierigkeiten bei Ausstellungen im Ausland?

Für das NPM sind das die juristischen Fragen, die auch mit der Politik zusammenhängen. Als die Republik China noch Mitglied der Vereinten Nationen war (bis Oktober 1971), gab es da keine Probleme. Seitdem müssen vor jeder Auslandsausstellung von der Gegenseite juristische Garantien für eine sichere Rückgabe geleistet werden. Vor der Ausstellung in Frankreich haben wir eine solche Garantie von der französischen Legislative und Exekutive erhalten, jetzt vor den Ausstellungen in Deutschland war es das Gleiche. [1998 verabschiedete der deutsche Bundestag das Kulturgutsicherungsgesetz, das leihweise aus dem Ausland eingeführte Kulturgüter dem Zugriff der deutschen Justiz entzieht und damit etwa eine auf Druck der VR China veranlasste Beschlagnahme unmöglich macht. Red.] Wir haben außerdem Gutachten von deutschen Juraprofessoren eingeholt, etwa Prof. Bernhard Kempen, Professor für internationales Recht an der Universität zu Köln. Ihre Ansicht: Nachdem Deutschland dieses Gesetz verabschiedet hatte und auch das Kanzleramt die Garantieerklärung abgegeben hatte, konnte man beruhigt sein.

Wieso wurden Gegenstände aus dem NPM noch nie in Italien gezeigt, ein bedeutendes europäisches Kulturland?

Auch hier stellt sich für das NPM wieder das Problem des juristischen Schutzes der Objekte. Mehrere italienische Museen haben bereits den Wunsch geäußert, Objekte von uns zu zeigen, und auch in Japan gibt es da großes Interesse. Doch sie müssten zuerst ein solches Gesetz verabschieden. Die KAH hatte diese Frage in Deutschland schon im Jahre 1993 auf die Tagesordnung gestellt, doch in Italien gibt es noch kein Museum, das eine solche Rolle übernommen hat wie die KAH in Deutschland. Und auch Japan muss erst die genannten Probleme lösen, bevor eine Ausstellung mit Objekten aus dem NPM dort in Frage kommt.

Das NPM hat doch 1970 schon einmal Objekte nach Japan ausgeliehen...

...richtig, nach Osaka zur Weltausstellung, aber damals war die Republik China noch Mitglied der Vereinten Nationen und unterhielt überdies direkte diplomatische Beziehungen mit Japan, die dann im September 1972 abgebrochen wurden.

[Bild] Prof. Tu Cheng-sheng (rechts) beim Interview mit den Redakteuren von Taiwan heute -- "Zu den Ausstellungseröffnungen soll es in Berlin und Bonn Aufführungen geben, etwa Löwentanzvorstellungen und Handpuppentheater." (Chen Mei-ling)

Sowohl die Ausstellung 1998 in Paris als auch die anstehenden Ausstellungen in Berlin und Bonn enthalten Objekte aus der Sammlung der Academia Sinica. Welcher Art ist die Zusammenarbeit zwischen dem NPM und der Academia Sinica?

Die Gegenstände im heutigen NPM stammen ursprünglich aus zwei Organisationen, nämlich dem Palastmuseum Beiping und dem Nationalen Zentralmuseum in Nanking. Das Zentralmuseum war 1933 von Fu Ssu-nien (1896-1950), dem damaligen Leiter des Instituts für Geschichte und Philologie der Academia Sinica, gegründet worden, und die Direktoren des Zentralmuseums waren immer Abteilungsleiter des Instituts für Geschichte und Philologie oder des ehemaligen Instituts für Archäologie der Academia Sinica. Deswegen war das Verhältnis immer sehr eng, und der 1967 geregelte Kooperationsmodus wird bis heute beibehalten.

Die Objekte der beiden Organisationen wurden 1948/1949 zusammen nach Taiwan transportiert und hier von einer gemeinsamen Behörde verwaltet, die dann 1965 zur Gründung des NPM abgeschafft wurde. Dass die Objekte überhaupt nach Taiwan gebracht wurden, hat auch viel mit der Academia Sinica zu tun. Der damalige Direktor des Palastmuseums, Ma Heng (1881-1955), sympathisierte schon mit den Kommunisten und wollte von einem Abtransport nichts wissen. Der Bildungsminister, der Präsident der Academia Sinica und auch der Leiter des Instituts für Geschichte und Philologie empfahlen jedoch alle eine Evakuierung.

Gibt es heute offizielle Kontakte mit den Kollegen vom Palastmuseum Peking?

Die Kontakte zwischen unseren Museen bewegen sich im Prinzip noch auf einer privaten Ebene. Während meiner Zeit als Wissenschaftler an der Academia Sinica bin ich nach Peking gefahren und habe in der Verbotenen Stadt nach Material gesucht. Nachdem ich Direktor des Palastmuseums wurde, habe ich mit Vizedirektoren des Palastmuseums Peking zu tun gehabt. Als einer von ihnen zu Besuch in Taiwan war, haben wir unter anderem über akademische und künstlerische Zusammenarbeit gesprochen, doch nach seiner Rückreise hat er das nicht weiter verfolgt. Dabei sind wir sehr für einen kulturellen Austausch.

Letztes Jahr war dann der neue Leiter des Palastmuseums in Peking zu Besuch bei uns. Ich habe ihn persönlich betreut, aber über konkreten Austausch haben wir nicht gesprochen.

Nach dem Golfkrieg wurde das Nationalmuseum in Bagdad tagelang systematisch und ausgiebig geplündert. Können Sie die Sicherheit der Gegenstände im Palastmuseum auch im Falle staatlicher Stabilitätsprobleme garantieren?

Die Vorgänge im Nationalmuseum Bagdad sind eine tragische Angelegenheit. Für diese Tragödie gibt es laut den Medienberichten und Untersuchungen zahlreiche Gründe. Man darf fragen, warum die Amerikaner keine Soldaten zum Schutz hingeschickt haben, doch sehr wichtig ist auch die Verantwortung der Kuratoren und der Museumsverwaltung. Der Krieg kam ja nicht überraschend, man hätte sich vorbereiten müssen -- wenn die Situation außer Kontrolle gerät, muss man das Museum schließen und die Objekte aus den Ausstellungsräumen in die Lagerräume bringen, außerdem kann man eine Schutztruppe zum Bewachen der Lager organisieren. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass das taiwanische Volk so etwas Zerstörerisches tun würde. Ich kann einfach nicht begreifen, warum die Iraker ihre eigenen Sachen zerstörten.

Wir würden vorher Schutzmaßnahmen ergreifen. Die fundamentalste Pflicht aller Museumsmitarbeiter besteht darin, die Sicherheit dieser Kulturgegenstände zu bewahren und zu schützen. In der Vergangenheit des Palastmuseums gab es schon ähnliche Situationen -- die Objekte, die nach Taiwan gebracht wurden, hatten ja einen durchaus langen Transport hinter sich. Die Leute, die damals beteiligt waren, sind heute alle im Ruhestand, aber wir haben diese Tradition, dass wir wissen, wie man mit den Objekten in Zeiten höchster Unsicherheit umgeht. Ich bin jedoch sicher, dass es nicht so weit kommen wird.

vgl.: http://www.gio.gov.tw/info/nation/ge/fcr97/2003/3/p34.htm