Wiener Zeitung, 25. November 2003
 
     
 

Staunen am Ende eines langen Weges
"Schätze der Himmelssöhne": Bundeskunsthalle Bonn präsentiert Exponate aus der Verbotenen Stadt

Von Christina Mondolfo, Bonn

Auf den ersten Blick wirken die Vase und die flache Schale aus blassblaugrünem Porzellan zwar elegant, doch schlicht und unauffällig. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich dem Betrachter plötzlich eine Schönheit, die einen in schieres Erstaunen und Entzücken versinken lässt - umso mehr, wenn man dann erfährt, dass es bis heute niemandem mehr gelungen ist, diesen sanften Schimmer der Glasur und diese Farbe zu reproduzieren. Doch die hinter dickem Glas geschützten Stücke sind nur zwei von insgesamt rund 400 wunderbaren Exponaten, die noch bis 15. Februar 2004 in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sind - die Rede ist von den "Schätzen der Himmelssöhne", ein kleiner Teil der Sammlung der chinesischen Kaiser aus der Verbotenen Stadt in Peking, die heute im Nationalen Palastmuseum in Taipeh (Taiwan) ausgestellt ist.
Seit zehn Jahren habe man daran gearbeitet, dass eine Auswahl nach Deutschland komme, sagte Wenzel Jacob, Direktor der Bundeskunsthalle, anlässlich der Eröffnung dieser einzigartigen Ausstellung, und nun habe man es geschafft: "Wir sind am Ende eines langen Weges angelangt." Immerhin musste die BRD dafür eigens ein Gesetz zum Schutz von Kulturgütern schaffen, damit keine andere Nation (im speziellen China) auf die Stücke zugreifen kann. Die Kooperation mit Taiwan sei jedoch ausgezeichnet gewesen, betonte Jacob. Als Gegenzug für die Bereitstellung der Kaiser-Schätze soll sich 2004 eine Kunstschau unter dem Motto "From Goethe to Modernity" auf den Weg nach Taiwan machen.
In Bonn sind neben Gemälden und Kalligraphien u. a. auch Ritualbronzen, Jadeschnitzereien, Porzellan, Jade- und Emailarbeiten sowie Sammelkabinette und Buchdrucke zu sehen. Der Zeitraum reicht vom Neolithikum bis zum Jahr 1911, im Mittelpunkt steht der Mensch in seiner Beziehung zu Natur und Gesellschaft. Auffallend ist die Pracht der höfischen Kunst im Gegensatz zur klaren Schlichtheit der Tradition chinesischer Gelehrter.
Diese Ausstellung umfasst zwar nur einen Bruchteil der insgesamt rund 650.000 Objekte, deren historische Bedeutung ist jedoch unschätzbar. Die Schätze der chinesischen Kaiser, die bisher nur zweimal in den USA und einmal in Europa (Paris) zu sehen waren, gelten als Vermächtnis des imperialen China und sind ein Symbol nationalen Kulturerbes. Das wechselvolle Schicksal dieser Sammlung (sie wurde jahrelang in Kisten durch China und angrenzende Länder transportiert, um sie vor den Kriegswirren zu schützen) ist auch ein Abbild der Geschichte Chinas und des Mäzenatentums seiner Kaiser.
Ein 472 Seiten umfassender Katalog vertieft das Thema, am 29. November gibt es um 19.20 Uhr auf 3sat eine Dokumentation über Taipeh.

vgl.: http://www.wienerzeitung.at/frameless/kultur.htm?ID=M10&Menu=192784