Berliner Zeitung, 21. Oktober 2003
 
     
 

Ein Tiger ohne Privilegien
Jörg Niendorf

Immerhin, die deutschen Romantiker kommen bald in sein Land. Bilder aus dem 19. Jahrhundert. Das freut den Chinesen Wei-jen Hu. Er ist der Repräsentant Taiwans, eines Staates, zu dem die Bundesrepublik offiziell keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Die Republik China, also der Inselstaat Taiwan, ist ein asiatischer Tiger, ein ökonomisches Schwergewicht. Doch politisch bleibt er außen vor, die meisten Staaten haben die Volksrepublik China anerkannt und nicht die Insel, die früher Formosa hieß. Taiwan ist nicht einmal Uno-Mitglied. Es ist paradox: Noch nie hat ein hochrangiger deutscher Politiker Taiwan besucht, obwohl die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten zu den dichtesten zwischen Europa und Asien zählen. Aber 2004 werden zumindest deutsche Gemälde in Taipeh zu Gast sein. "Das ist ein Anfang", sagt Hu.
Die Ausstellung ist das Gegengeschenk zu den "Schätzen der Himmelssöhne" aus dem Palastmuseum in Taipeh, die derzeit in Berlin zu sehen sind. Hu hofft, dass das Beispiel Schule macht. Er will mehr Kulturaustausch, damit Politiker folgen. Andere westliche Staaten machen den Spagat längst, nur Deutschland ziert sich. "Die Deutschen sind zurückhaltend und ängstlich in Asien", sagt Hu. Er muss keine Rücksicht nehmen. Er spricht weiter, wo "echte" Diplomaten zurückhaltend werden. Es hat Vorteile, ein Zwitter zu sein.

Wie ein Wirtschaftsboss residiert Professor Hu am Gendarmenmarkt, seine Büros liegen hoch über dem Platz, noch über den Vorstandsetagen großer Stromkonzerne. Bis vor zwei Jahren lehrte Hu an der Universität Taipeh Politik und arbeitete im Sicherheitsrat Taiwans. Fotos von ihm und Präsident Rau stehen im Empfangszimmer wie bei jedem Botschafter. Doch stammen sie nicht vom Akkreditierungstermin oder dem Neujahrsempfang. Dorthin wird Hu nicht eingeladen. Drei Etagen hat Taiwan gemietet, 20 Chinesen arbeiten in den Abteilungen für Handel, Kultur und Politik oder im Konsularbereich. De facto ist alles wie in einer Botschaft, nur darf der Name nicht auftauchen. Wer nach Taiwan will, muss sich hier ein Visum holen, aber offiziell heißt diese Stelle nicht Konsulat. Aus politischen Gründen steht sogar nirgends Taiwan. Die Mission heißt Taipeh-Vertretung. Andere Titel entsprächen nicht der Doktrin der "Ein-China-Politik". Demnach gibt es nur "Festlandchina".

Mit seiner Familie war Hu als Kind vom Festland nach Taiwan geflohen. Sein Vater zählte 1949 zu den Staatsgründern, er war General und einer der engsten Vertrauten von Chiang Kai-shek im Kampf gegen die Kommunisten. Der Sohn ging ebenso in den Staatsdienst, vertrat mehrmals Taiwan im Ausland. In Südafrika durfte er sich Generalkonsul nennen, weil man dort sein Land anerkennt. In den USA war er "Taipeh-Vertreter" wie derzeit in Berlin. Und hier hat er jüngst eine sagenhafte Entdeckung gemacht. Sein Vater Hu Tsung-nan hätte im Frühjahr 1947 um ein Haar Mao Tse-tung gefangen nehmen können, wenn er denn gewusst hätte, wie nah er an dessen Versteck war. "Nur 400 Meter trennten beide", sagt Hu. Das war in Taiwan nicht bekannt. Über Vertreter der Pekinger Botschaft in Berlin erfuhr Hu von dem Versteck. Das waren nur inoffzielle Informationen. Zur Botschaft Pekings unterhält er keine Kontakte, nur zufällig treffen die Vertreter beider Chinas in der deutschen Hauptstadt aufeinander. "Wir sind uns nicht feindlich gesinnt", sagt Hu. Die Staaten nähern sich derzeit ein wenig an. Allerdings lässt Hu keinen Zweifel daran, dass aus seiner Sicht alles so bleiben soll, wie es ist. Das sähe auch die Mehrheit der Taiwaner so, eine Vereinigung sei nicht das Ziel. Hu ist asiatisch-geduldig: "Wir haben Zeit." Er hält sich jedoch nicht zurück mit Eigenlob über ihr Wirtschaftswunder. "Wir arbeiten hart, Erziehung ist das wichtigste."

Mittlerweile ist das Land eine Demokratie, bald wird wieder gewählt. Auch deshalb wünscht er sich mehr politische Aufmerksamkeit. "Gerade die Deutschen müssten wissen, wie mit einer geteilten Nation umzugehen ist", sagt der 57-Jährige. Da spricht der Tiger.

Er kokettiert damit, dass er Klartext reden kann. Einige empfangen ihn als wichtigen Gesandten, andere sind unsicher, wie mit Taiwan umzugehen ist. Hu kann sich nicht ausruhen auf Privilegien wie dem blauen Diplomatenpass, der Immunität und einer bewachten Residenz. Also spielen er und sein Land eher die Rolle des Selfmademan, der stark ist und sich viel erlaubt. Eine Residenz in Grunewald, in der er wie ein Botschafter seine Gäste empfängt, hat er ohnehin. Die Flagge weht auch davor, das kann ihm keiner verbieten.

vgl. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/286297.html