Die Zeit, 10.07.2003 Nr.29 |
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TAIWAN Frau Wen-ling Chang badet geradezu in der Bewunderung ihrer Gäste für all die seltenen Kunstwerke, die, über drei Stockwerke verteilt, in diskret beleuchteten und gut gesicherten Vitrinen verwahrt werden. Sehen Sie hier, sehen Sie dort! Ein mit Drachendekor verziertes Ritualgefäß aus Bronze, 3000 Jahre alt. Seidene Rollbilder mit duftig hingetupften Blüten und eleganten Konkubinen, eine nebelverhangene Gebirgslandschaft, in der sich, kaum sichtbar, ein zierlicher Pavillon versteckt. Schönheit spricht für sich, und so kann sich die Kuratorin Wen-ling Chang darauf beschränken, die Namen der Dynastien zu nennen, in deren Regierungszeit all die großen und kleinen Meisterwerke entstanden sind: Shang, Tang, Song, Ming, Qing. Wenn man des Chinesischen nicht mächtig ist, hört sich das an, als werfe die muntere Dame mit Knallerbsen um sich. Treppauf, treppab führt uns Frau Chang durch das Nationale Palastmuseum in Taipei, und berichtet von verflossenen Epochen, in denen Literatur und darstellende Künste zu höchster Blüte kamen. Wenn es um Geschichte geht, sind Histörchen immer willkommen, wie die von Kaiser Qianlong (1736 bis 1795) und seiner berühmten Teeparty, zu der er einmal im Jahr namhafte Künstler und Gelehrte einlud. Diese Ehre hatte jedoch ihren Preis, denn noch während das kreative Kränzchen tafelte, musste es dem Kaiser viele schöne Gedichte schreiben. Zur steten Erinnerung durften sie die kostbaren, handbemalten Schälchen, aus denen sie ihren Tee geschlürft hatten, mitnehmen. »Die fehlen jetzt in unserer Sammlung», sagt Wen-ling Chang lächelnd, mit ironischer Anspielung darauf, dass ihr Haus mit Porzellan- und Keramik überreich bestückt ist. Selten ist großer Kunst ein so prächtiger Palast gebaut worden wie in Wai-Shuang, 20 Autominuten von Taiwans Hauptstadt Taipei entfernt. Das Palastmuseum mit seinen Nebengebäuden, 1965 eröffnet, macht seinem Namen alle Ehre. Türkisfarben glänzen die glasierten Ziegel auf den geschwungenen Dächern, in prunkendem Gelb, der Farbe, die ehemals ausschließlich den chinesischen Kaisern vorbehalten war, leuchten die Fassaden. Ringsum ein weitläufiges Parkgelände mit Bächlein, Brücken, Pavillons und einem See. Der architektonische Rückgriff auf eine traditionelle chinesische Bauweise und ihr imperialer Gestus zeigen, dass sich Taiwan als legitimer Erbe des alten Chinas und durchaus in der Lage sieht, der weltweit größten Sammlung chinesischer Kunst – 650000 Objekte aus fünf Jahrtausenden – eine standesgemäße Bleibe zu bieten. Denn die Artefakte sind von höchster Herkunft, sie stammen aus der Verbotenen Stadt in Peking. Und die Umstände, die sie nach Taiwan gebracht haben, gleichen einer Odyssee von mythischem Ausmaß. Sechzehn Jahre lang war die Kunstsammlung des Kaiserhofes auf dem chinesischen Festland unterwegs, bevor sie im nordtaiwanischen Hafen Keelung endgültig vor Anker ging. In Windeseile trieben Bergarbeiter 200 Meter tiefe Stollen in bewaldetes Hügelland, um die Bestände, die alle Kriegswirren überstanden hatten, möglichst sicher zu verstecken. Nach Gründung der Republik China im Jahr 1912 durften die Bewohner Pekings erstmals staunend an all den Kostbarkeiten vorbeidefilieren, die ihre Herrscher in 1000 Jahren zusammengetragen hatten. Doch dann fiel Japan 1931 in die Mandschurei ein. Peking lag gefährlich nahe an diesem Krisenherd, und so galt es, das nationale Erbe vor ihrem Zugriff zu bewahren. Die wertvollsten Kunstgegenstände wurden in 20000 Kisten verpackt und im Schutz der Dunkelheit auf Schubkarren zum Bahnhof gebracht. Zunächst nach Nanjing, dann auf Schiffen nach Shanghai. Doch mit dem schnellen Vorstoß japanischer Truppen ins Landesinnere gab es bald nirgends mehr einen sicheren Ort. Fortan war die Kunst in den gepolsterten Kisten nur noch auf der Flucht, 12000 Kilometer kreuz und quer durch ein Reich von unendlicher Weite. Mal auf Bahnschienen, dann auf Lastwagen verladen oder von Maultieren über unwegsame Gebirgspässe transportiert. Am Tag und oft auch in der Nacht. In der Provinz Sichuan galt es, fünf Flüsse zu überwinden, über die keine Brücke führte. Die Konvois mussten Kampfgebiete umgehen und Bombardements ausweichen. Einpacken, auspacken, umpacken. Hitze, Eis und Schnee, Dauerregen. Der japanischen Kapitulation folgte ein Bürgerkrieg, und Chinas Schatzkisten sollten um keinen Preis den Truppen Mao Tse-tungs in die Hände fallen. Den Nationalisten, die sich nach wie vor als rechtmäßige Vertreter der Republik China sahen, war klar: Wer die Sammlung besaß, konnte politische Legitimität für sich beanspruchen. Im Frühjahr 1949 mussten Chiang Kai-shek und seine Kuomintang vor der kommunistischen Übermacht nach Taiwan fliehen. Fast zwei Millionen Zivilisten schlossen sich diesem Exodus an. Einer ihrer Professoren, sagt Frau Wen-ling Chang, habe die Sammlung während der Irrfahrt begleitet und von dramatischen Situationen berichtet, aber auch von Glücksfällen wie dem, dass in zwei umgekippten Lastwagen gottlob kein Porzellan war, das hätte zu Bruch gehen können. Bis heute sieht die Volksrepublik China in der Insel Taiwan eine abtrünnige Provinz und klagt, wenn es um die kaiserliche Sammlung geht, über dreisten Raub. Taiwan hingegen, mit offiziellem Namen Republik China, hält sich die Rettung wichtigen nationalen Kulturguts zugute und tritt als stolzer Eigentümer auf. Jetzt werden, nach Ausstellungen in New York und Paris, erstmals auch in der Bundesrepublik 400 Exponate aus dem Nationalen Palastmuseum gezeigt. Zuvor allerdings musste der Bundestag eine Gesetzesänderung verabschieden, die Taiwan eine Rückgabe seiner Bestände garantiert und einen Zugriff Pekings ausschließt. Jeweils drei Monate gastieren die Schätze der Himmelssöhne vom 18. Juli an in Deutschland, zunächst im Alten Museum in Berlin, dann in der Bonner Kunsthalle. Es sind ausgesuchte Raritäten, wie die anrührende Darstellung von zwei Kindern, die mit einem Kätzchen spielen, oder die Ode an die Trauerbachstelze aus der Tang-Zeit. In den beiden Städten werden zum Teil unterschiedliche Objekte gezeigt, denn einige der Seidenstickereien und Gemälde sind so fragil, dass sie nur kurz ihren Aufbewahrungsort verlassen dürfen. Daheim, in Wai-Shuang bei Taipei, haben die Bestände aus fünf Jahrtausenden in unterirdischen Magazinen eine ideale Heimstatt gefunden. 250000 Quadratmeter groß sind die klimatisierten Katakomben. In dieser High-Tech-Unterwelt regeln Computer die Lebensbedingungen der betagten Kunst, und die Bunker sind gegen Angriffe jeder Art gewappnet – Diebstahl, Feuer, Wassereinbruch, auch gegen Erdbeben, denn Taiwan steht auf unruhigem Boden. Im Nationalmuseum können nur zwei Prozent aus dem Fundus ausgestellt werden. Doch die Exponate wechseln. Kuratoren haben ausgerechnet, dass Kunstliebhaber immerhin die Möglichkeit hätten, in zwölf Jahren das gesamte Vermächtnis des imperialen Chinas zu sehen. Vielleicht ist es die Aussicht auf diesen Rekord, dass sich Schulklassen in einheitlichen Trainingsanzügen durch alle Etagen drängen und als nie versiegender Mahlstrom um die Vitrinen kreisen. Häufiger trifft man die Schüler nur noch im Chiang Kai-shek Memorial, einer monumentalen Gedächtnisstätte im Zentrum Taipeis. Dort wird ihnen mit der Wachablösung der Ehrengarde eine zackige Performance geboten, die der Nachwuchs mit unverhohlenem Vergnügen verfolgt. Mit starrem Blick marschiert ein Sechserpack junger Soldaten auf. Sie lassen ihre Gewehre mit den blank geputzten Bajonetten so kunstreich kreisen und wirbeln, als übten sie für eine Peking-Oper. Ein Knie hochgezogen, den rechten Arm mit geballter Faust ins Leere gestoßen, diese Choreografie verleitet die kichernden Kleinen immer wieder zur Nachahmung. Noch immer öffnen sich um neun Uhr in der Früh die Tore zur Großen Halle und geben den Blick auf die 30 Tonnen schwere Bronzestatue Chiang Kai-sheks frei. Mit leutseligem Gesichtsausdruck schaut er den Männern und Frauen entgegen, die sich über 89 Stufen zu ihm heraufquälen. Es sind so viele Stufen, wie dem Parteiführer Lebensjahre beschieden waren. Doch die Ära der Kuomintang gehört bereits der Vergangenheit an. Mit den demokratischen Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren hat eine neue Zeit begonnen. Zunehmend wächst das Gefühl einer eigenen, taiwanischen Identität. Wie eine Umfrage ergab, definieren sich nur noch wenige Bewohner als Chinesen, obwohl sie es ihrer Herkunft nach sind. Tu Cheng-sheng, der Direktor des Nationalen Palastmuseums, bekennt denn auch, dass »wir unsere gemeinsame kulturelle Vergangenheit nicht leugnen können«. Außerdem: Man könnte sich durchaus weniger honorige Ahnen vorstellen als die chinesischen Kaiser. Unter ihnen gab es zwar genügend grausame Kriegsherren, aber auch viele hoch gebildete Männer, bewandert in Philosophie und Literatur und als Künstler keineswegs Dilettanten. Sie umgaben sich mit Gelehrten und Künstlern und gründeten Akademien. Schon in der Song-Zeit, vor 1000 Jahren, begannen die Söhne des Himmels damit, systematisch Sammlungen anzulegen und zu katalogisieren. Als letzter großer Sammler und Förderer von Geist und Kunst hat sich im 18. Jahrhundert der Qin-Kaiser Qianlong einen Namen gemacht. Um uns die Bedeutung des Monarchen nahe zu bringen, findet Frau Wen-ling Chang einen treffenden Vergleich. »Er war ein Sonnenkönig», sagt sie. Er malte gern und brachte es mit furchterregender Kreativität auf 42000 eigene Gedichte. Qianlong war es aber auch, der dem Gesandten des britischen Königs eine folgenschwere Abfuhr erteilte, als ihm das Empire Handelsbeziehungen anbot. Nicht lange nach Qianlongs Tod holten sich die Briten mit Waffengewalt, was ihnen der Kaiser auf friedlichem Weg versagt hatte. China geriet in einen Strudel kriegerischer Ereignisse, die mit dazu führten, dass an einem trüben Februartag des Jahres 1949 Kunstwerke von unschätzbarem Wert nach Taiwan gebracht wurden.
Palastmuseum: Man erreicht es in 20-minütiger Taxifahrt zum Preis von 200 Taiwan Dollar. Das Museum (www.npm.gov.tw) ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Im Souvenirshop gibt es CD-ROMs von alten Rollbildern. Am eindrucksvollsten »A City of Cathay« mit der Wiedergabe eines elf Meter langen Gemäldes aus dem 18. Jahrhundert Literatur: Geo Epoche »Das alte China«, 8 Euro. Hans Höfer/David F. Reid: APA Guide »Taiwan«, Ausgabe 1994, 22,90 Euro. Jürgen Fey: »Taiwan«, Reihe Marco Polo, Mairs Geographischer Verlag 2000, 7,95 Euro. Lonely Planet »Taiwan« von 2001, 25,50 Euro Ausstellungen: Vom 18. Juli bis zum 12. Oktober im Alten Museum in Berlin, vom 21. November 2003 bis zum 15. Februar 2004 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn Auskunft: Taipeh Tourismus Büro, Asia Trade Center Tourism Bureau, Dreieichstraße 59, 60594 Frankfurt am Main, Tel. 069/610743, info@taiwantourismus.de, www.taiwantourismus.de |
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