Rhein Neckar Zeitung, 19.07.2003
 
     
 

Blick in die Schatzkammern der chinesischen Kaiser
Berlin zeigt auf der Museumsinsel 400 Meisterwerke
Andrea Hilgenstock

Klein ist der Mensch, gewaltig die Natur. Dargestellt auf den Hängerollen chinesischer Künstler durch viele Jahrhunderte in ähnlicher Form. Die Berge sind so still und friedlich wie zu Urzeiten, die eigenen Gefühlsregungen sind ebenso zur Ruhe gekommen. Das freie Umherstreifen vertreibt die Sorgen der Welt. Berge und Bäche bilden die Stätte der Zuflucht."
Was Shen Chou im 15. Jahrhundert mitten in der Ming-Dynastie auf Papier tuschte, entspricht diesen kalligrafischen Gedichtzeilen voll und ganz. In den Bildern des Malers wie der chinesischen Kunst überhaupt geht es häufig um paradiesische Ruhe und geistigen Gehalt. Bambus, Felsen und Turteltauben als meditatives Gegengewicht zur bewegten Gegenwart.
Über die Historie, etwa die Kriegsführung, erfährt man jedoch wenig in der Ausstellung Schätze der Himmelssöhne", welche die kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum in Taipeh erstmals in Deutschland vorstellt. Von der Aufzählung zahlloser chinesischer Dynastien einmal abgesehen. Ihr folgt die Ausstellung mit 400 Meisterwerken chinesischer Kunst im Alten Museum.
Schade, denn dem Verständnis einer fremden Kultur ist mit der Chronologie allein und dem hohen ästhetischen Genuss nicht ge dient. Dem Besucher sollte zumindest eini-
China und Taiwan streiten sich um die Sammlung
ges Grundlegende vermittelt werden, etwa dass Malerei und Kalligrafie gemeinsamen Ursprung haben, oder dass das Sammeln der Selbstlegitimation der Kaiser diente, besonders wenn sie Eroberer des Reiches waren.
Ausgewählt wurden die Gemälde, Kalligra-fien, Porzellane, Ritualbronzen, Buchdrucke, Lackarbeiten und Jadeschnitzereien von Ursula Toyka-Puong aus 700 000 Objekten. Pur die Bonner Ausstellungsmacher der Bundeskunsthalle war sie vor Ort. Nach dem Ende der Kaiserherrschaft und Gründung der Republik China in Peking ausgestellt, befinden sich die Schätze seit über 50 Jahren in Taiwan. China fordert sie natürlich zurück. :
Zehn Jahre dauerte die Arbeit der Museumsleute, an deren Ende nun dieser oberflächlich die Sinne erfreuende, insgesamt aber wenig erhellende Einblick in die diversen Kunstsammlungen der Kaiser und den variierenden Zeitgeschmack der Majestäten steht. Manche pinselten selber, andere vernachlässigten über ihrer Sammelleidenschaft die Staatsgeschäfte. Die Bezeichnung ?irn-melssohn" drückt in jedem Fall den universalen Machtanspruch des Oberhauptes aus.
Ob der erste Kaiser von China eine Kunstsammlung besaß, ist nicht überliefert. Los ging's dann richtig mit Kaiser Wuti (140-87 v. Chr.). Gesammelt wurden antike Gegenstände der frühen Zivilisation 4000 Jahre vor Christus bis hin zu Gemälden und Schnitzereien des 19. Jahrhunderts. Kaiser wie K'ang-hsi (1662-1722) ließen sich, durch Missionare beeinflusst, sogar auf westliche Malerei und Uhren ein.

Sie interessierten sich früh für Mechanisches aus dem Westen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde China daher zum weltweit gr?ten Uhrenimporteur. Was uns aber noch mehr mit dem Reich der Mitte verbindet, ist das Porzellan, Nach der Einführung des Kobaltblau aus Westasien begann in der frühen Ming-Dynastie (1368-1644) die Produktion in den kaiserlichen Manufakturen.
Allgegenwärtig auf Vasen, Pilgerflaschen oder Räuchergefäßen ist der Drache. Er bringt ein wenig Theatralik in die Stille und Einfachheit der vielen harmonischen Naturdarstellungen. Als göttliche Wesen betrachtet, verkörpern Drache und Phönix neben der Vereinigung von Himmel und Erde, Yin und Yang, auch Kaiser und Kaiserin. Kein Wunder, dass beide ein beliebtes Motiv in der Chinesischen Kunst darstellen.

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