Märkische Allgemeine, 19.07.2003
 
     
 

TAIWANS FIRST LADY BESUCHTE POTSDAM
Eine asiatische Heldin
ERIK HEIER

Müde sieht sie aus. Ihre Stimme ist leise. Sie hüstelt oft. Ihr vielgerühmtes Lächeln ist matt. Vielleicht wegen der Strapazen der 13-stündigen Flugreise vom Vortag. Oder der anschließenden Ausstellungseröffnung "Schätze der Himmelssöhne" in Berlin, mit 400 Meisterwerken aus dem Nationalen Palastmuseum in Taiwan. Ihrem Land.

Bei anderen Präsidentengattinnen würde man sagen: Ja gut, die First Lady. Ausstellungen und so. First-Lady-Business as usal halt. Nicht jedoch bei Wu Shu-chen, Frau des Präsidenten Taiwans, Chen Shui-bian. Denn die zierliche Frau, die gestern bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung im Truman-Haus vom FDP-Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff empfangen wurde, gilt über die Grenzen Taiwans hinaus als Symbol für Demokratisierung. Für Freiheit gegenüber dem großen grollenden Bruder China, der Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet und auch so behandelt, inklusive Militärmanöver vor der Küste und 470 auf das Land gerichteten Raketen als Drohkulisse. Und für ihre unbeirrbare Stärke.

Ein Lastkraftwagen hatte sie 1985 bei einer Veranstaltung ihres Mannes dreimal überrollt. Womöglich ein Anschlag. Seitdem ist Wu an den Rollstuhl gefesselt. Querschnittslähmung. Unbarmherzig, dieses Schicksal. Aber aufgeben? Niemals. Nur ein Jahr später, Wu war gerade aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, wurde Chen wegen regierungskritischer Verleumdung acht Monate inhaftiert. Also kandidierte Wu anstelle seiner für das Parlament. Sie wurde gewählt. Und hat später den Aufstieg ihres Mannes vom Parlamentarier über das Bürgermeisteramt der Hauptstadt Taipeh bis hin zur Präsidentschaft seit Mai 2000 - dem ersten Wahlsieg eines Oppositionsführers in Taiwan - begleitet. Mehr noch: geprägt. "Time Asia" führt sie unter den "Asian Heroes 2002".

Entsprechend heldenhaft auch der Einsatz der rund ein Dutzend taiwanesischen Kamerateams in der Truman-Villa, die den Busladung-großen Tross der First Lady eskortieren. Schon vor ihrer Ankunft ist jedes Kameramotiv gerade recht. Ein kleiner Stahltisch mit Glasfläche? Naheinstellung. Ein Blumenbeet? Draufhalten! Deutsche Gärtnerakkuratesse gibt's schließlich nicht so oft im Taiwan-TV. Das akribische Sicherheitspersonal guckt leicht irritiert.

Auch eine vordergründig kulturelle Visite der First Lady gerät immer irgendwie auch zu einer politischen Mission. Denn die Pazifikinsel wird nur von sehr wenigen Staaten diplomatisch anerkannt, in Europa nur vom Vatikan, der nächsten Station von Wus Europatour. Wo deshalb ihr Mann als Präsident nicht hinreisen kann, redet sie als First Lady Klartext. Ein schmaler Grat.

Etwa beim gestrigen Mittagessen im Cecilienhof (Salat, Kalbsmedaillons mit Blattspinat und Röstkartoffeln, Früchtesorbet). 75 Gäste sind geladen, darunter Bundestags-Vizepräsident Herrmann Otto Solms, Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (beide FDP) und Filmregisseur Volker Schlöndorff. Und Wu sagt ihnen: "Der Wille des taiwanesischen Volkes nach Freiheit und Demokratie wird nicht aufhören. Wir werden nicht aufgeben, danach zu streben, dass Taiwan Mitglied der Uno wird." Mit einem Mal klingt ihre Stimme sehr fest. Und klar.

http://www.maerkischeallgemeine.de/?loc=2_1_1&id=122257&weiter=250