Netzzeitung.de, 21. Jul 07:22
 
     
 

Kaisers Kunstwerke
Für das Web ediert von Oliver Heilwagen

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Anonym, Eisvogel und herbstlicher Lotus, Sung-Dynastie (960-1279) Foto: NPM

Kunstfertige Beamte und kreative Monarchen sind Europa eher fremd. «Schätze der Himmelssöhne» zeigt in Berlin Kunstwerke, die Chinas Herrscher in den letzten 2.000 Jahren sammelten und kommentierten.

Besucher, der Du hier eintrittst, lass' alle Hoffnung fahren, Du könntest das Gesehene verstehen. Denn die Ausstellung «Schätze der Himmelssöhne», die seit Freitag im Berliner Alten Museum gezeigt wird und Ende November in die Bonner Bundeskunsthalle wandert, präsentiert Zeugnisse aus China, dem ältesten und hermetischsten Kulturkreis der Erde. Keine andere Zivilisation ist westlichem Denken so fremd und zugleich so ausdifferenziert, so sehr um Perfektion des selbst gewählten Regelsystems bemüht. Nicht von ungefähr weist Sinologie die längste Regelstudienzeit aller Geisteswissenschaften auf.

Dabei ist die Gelegenheit, diese Kultur anhand ihrer herausragendsten Schöpfungen kennen zu lernen, so günstig wie nie zuvor: Ausgestellt werden rund 400 Meisterwerke aus der kaiserlichen Kunstsammlung, die heute im Nationalen Palastmuseum in Taipeh auf der Insel Taiwan aufbewahrt wird. Bereits die Geschichte dieser Kollektion sprengt jedes geläufige Maß. Die bis 200 v. Chr. herrschende Dynastie der Ch´in, von der sich der Landesname China ableitet, begründete die Idee der Einheit des Reichs. Deren Garant war der Kaiser. Als «Sohn des Himmels» vermittelte er zwischen irdischen und göttlichen Mächten und genoss eine einzigartige Ausnahmestellung: Alle Güter der bekannten Welt waren sein Privateigentum.

Dieses Monopol kam auch in der kaiserlichen Sammlung zur Geltung: Häufig ließen die Herrscher landesweit nach berühmten Kunstwerken fahnden, um sie ihrem Besitz einzuverleiben. Zugleich waren sie meist bemüht, die Kollektionen ihrer Vorgänger zu erhalten und zu erweitern, um die Legitimität ihrer Thronfolge wie der gesamten Dynastie zu sichern. So entstand ein an Umfang und Kontinuität nie dagewesener Schatz: Insgesamt 650.000 Stücke umfasst die Sammlung, von denen manche seit 2.000 Jahren zum Hof in Peking gehörten.

Im 20. Jahrhundert erlebten die Kunstwerke eine jahrzehntelange Odyssee: Um sie vor einer japanischen Invasion zu schützen, wurden die kostbarsten Arbeiten ab 1931 mit riesigem logistischen Aufwand ins Landesinnere verfrachtet. Als sie 1945 zurück transportiert werden sollten, brach der Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Kuomintang aus. Den verlor die nationalchinesische Armee unter Chiang Kai-schek; bei ihrer Flucht nach Taiwan nahm sie die Kollektion mit. 1965 wurde für sie das Palastmuseum in Taipeh als verkleinerte Kopie der Verbotenen Stadt in Peking errichtet. Entsprechend selten werden Teile der Sammlung ausgeliehen: Erst drei Mal waren sie außerhalb Chinas zu sehen, in Deutschland bisher noch nie.

Die Schau, die sich auf die in China hochentwickelten Künste wie Tuschemalerei, Kalligraphie und Porzellanherstellung konzentriert, ist chronologisch angelegt - und weist paradoxerweise nach, wie wenig sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Manche Grundformen, etwa Kombinationen von Kreis und Quadrat als Symbole des Himmels und der Erde oder dreibeinige Gefäße vom Typ «ting», wurden zwei Jahrtausende lang beibehalten. Zudem erlebte die chinesische Kultur diverse Renaissancen im Sinne einer Rückbesinnung auf antike, als unübertrefflich empfundene Vorbilder. Diese wurden in zahllosen Varianten kopiert, abgewandelt und kommentiert - letzteres oft direkt auf der Papierrolle, die das Bild oder den kalligraphischen Text trug.

Am ausführlichsten kommentierte einer der Herrscher selbst die Kunstwerke in seinem Besitz: Der vierte Mandschu-Kaiser Kao-tsung, dessen fast 60 Jahre währender Regentschaft im 18. Jahrhundert eine eigene Abteilung gewidmet ist, ließ nicht nur seine enorme Sammlung auf fast 21.000 Seiten katalogisieren. Der kunstsinnige Monarch kümmerte sich auch selbst um ihre Erforschung: Von ihm sind fast 40.000 Lehrgedichte überliefert. Damit zählt er nicht nur zu den produktivsten Literaten aller Zeiten - durch Kao-tsung wurde der Kolophon, der einem Kunstwerk auf Papier angeheftete Kommentar, zu einer eigenen kunsthistorischen Gattung fortentwickelt.

All dem liegt die konfuzianische Vorstellung zugrunde, der Kosmos werde von unveränderlichen Prinzipien bestimmt. In ihren Werken versuchten die Künstler, sich dem Ideal eines Ausgleichs, einer Harmonie zwischen Mensch und Natur anzunähern. Dem strebten nicht nur Berufskünstler nach. Jeder Gebildete, der die höchst anspruchsvollen Aufnahmeprüfung für eine Beamtenkarriere im Dienst des Kaisers bestanden hatte, war in den klassischen Künsten bewandert und übte sie oft auch selbst aus. Die Ausstellung unterscheidet daher zwischen repräsentativer Gebrauchsware mit üppigem Dekor für den höfischen Bedarf und so genannter «Gelehrtenkunst», die von Reduktion auf das Wesentliche geprägt war. Wie etwa tausend Jahre alte, blassgrüne Ju-Töpferware: Ihre formvollendete Schlichtheit erinnert an Bauhaus-Modelle.

Innerhalb dieses Rahmens war aber individueller Ausdruck durchaus möglich. Das beweisen etwa die durchweg hervorragenden Beispiele von Tuschemalerei: Obwohl meist monochrom, lassen die für europäische Begriffe kühnen Perspektiven und Kompositionen sowie die Subtilität der Umrisszeichnungen und Schraffuren stets individuelle Handschriften erkennen. Das gilt auch für die «chinesischste» aller Künste, die Kalligraphie: Die jedem Meister eigene Strichführung springt auch dem hiesigen Betrachter sofort ins Auge. Was die Zeichen bedeuten, bleibt ihm allerdings verborgen - es sei denn, er konsultiert den exzellenten Katalog, der sämtliche Exponate ausführlich und anschaulich erklärt.

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