Märkische Allgemeine, Artikel vom 18.07.
 
     
 

VIER JAHRTAUSENDE KUNST: DAS NATIONALE PALASTMUSEUM TAIPEH ZEIGT ERSTMALS DIE SCHÄTZE DER CHINESISCHEN KAISER IN BERLIN
Himmlisches von den Himmelssöhnen

FRANK KALLENSEE

Ob Chinas erster Kaiser, der robuste Ch'in Shih-huang-ti, Kunst mochte, weiß niemand. Als Reichseiniger hatte der Mann vermutlich weniger Schöngeistiges im Sinn. Aber ab dem Jahr 221 vor Christus ging's los. Kaiser Wu-ti baute für seine Gemälde, Kalligrafien und antike Bronzen eine Ausstellungshalle. Kaiser Yüan-ti soll gar über seiner Sammelleidenschaft die Staatsgeschäfte vergessen haben. Kaiser Hu-tsung malte mit eigener Hand, bis ihn die Chin-Tataren 1127 des Drachenthrons beraubten .

Banausen waren offensichtlich selten unter jenen Herren, die mit einem Mandat des Himmels herrschten und sich deshalb Himmelssöhne nannten. Zumindest seltener als anderswo. Als die Mongolen 1279 die Sung-Dynastie absetzten, übernahm der neue Kaiser Shih-tsu, Europäern seit Marco Polo besser als Kublai Khan bekannt, die Kunstkollektion unzerstört. Und als der Ming-Imperator Hsüan-tsung den Bestand bis 1505 aus purer Geldnot ausdünnte, füllten ihn die Ch'ing-Potentaten bis 1911 wieder auf. Doch dass aus diesem 650 000, in Worten: sechshundertfünfzigtausend (!), Objekte zählenden Schatz nun 400 der qualitätvollsten im Berliner Alten Museum besichtigt werden können, dafür bedurfte es über solch kaiserliches Mäzenatentum hinaus auch noch demokratischer Kärrnerarbeit im hiesigen Bundestag. Denn ohne ein 1998 dort beschlossenes Gesetz wäre diese Schau nicht möglich geworden. Es schreibt fest, dass zu Ausstellungszwecken nach Deutschland eingeführtes Kulturgut in jedem Fall an den Leihgeber zurückzuführen ist - unabhängig davon, ob irgendjemand sonst Eigentumsansprüche geltend macht. Seit 1949 nämlich, seit die "Kaiserliche Sammlung" während des chinesischen Bürgerkrieges von Peking nach Taiwan verschifft wurde, fordert die Volksrepublik China beharrlich die Herausgabe. Begreiflich, dass das Nationale Palastmuseum in Taipeh vor einem Verleih Sicherheiten haben wollte.

Schon die vergleichsweise kleine Auswahl für Berlin lässt ahnen, was die "Kaiserliche Sammlung" für das chinesische Selbstverständnis bedeutet: Sie repräsentiert die nationale Kontinuität des Reiches der Mitte - vom steinzeitlichen Jade-Vogel bis zum Anbruch der Moderne. Es ist, als hätten diese Stücke nie etwas anderes als schön sein sollen.

Die kontemplative Bildersprache, wie sie Chinas Weise pflegten, kommt hier ebenso zu ihrem Recht wie die Prachtentfaltung der höfischen Aristokratie. Zikadengemusterte Kultgeräte aus Bronze und feinste Porzellane zeugen von hoch entwickelten technischen Fertigkeiten. Kuratorin Ursula Toyka-Fuong verzichtete auf jegliche Inszenierung, es ist eine reine "Vitrinen-Schau", aber was für eine: Zu bestaunen sind kostbar geschnitzter Elfenbeinluxus für Toilettenzimmer und Büro, getuschte Landschaften auf Rollbildern, wie sie chinesische Kunstliebhaber nur vor geschätzten Gästen ausbreiteten, Kaiser-Porträts und Konkubinen-Konterfeis, schließlich: edelste Schreib- und Buchkunst. Ein buddhistischer Kanon zum Beispiel, bei dem sogar der Schnitt mit Miniaturen bedeckt ist oder ein Exemplar des ältesten Wörterbuchs der Welt: Das Synonymlexikon wurde im 10. Jahrhundert gedruckt, nach einer damals bereits 1200 Jahre bekannten Vorlage. Augenfällig werden zudem Stil- und Geschmacksbrüche - das 17. und 18. Jahrhundert war auch in Peking "barock".

Diese Exposition ist eine Koproduktion - und zwar wieder mal eine mit der Bonner Bundeskunsthalle, wohin sie nach dreimonatigem Hauptstadtaufenthalt auch weiterwandert. Doch keine Gabe ohne Gegengabe. 2004 entsendet die Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz Kostbarstes aus ihrem Besitz in den Fernen Osten. Deutsche Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Porzellan, Glas, Silber, Möbel, Grafiken und Gemälde von Caspar David Friedrich bis Arnold Böcklin - eine absolut angemessene Antwort.

http://www.maerkischeallgemeine.de/?loc=3_6_1&id=122024