June 13, 2006:

[achtung! kunst] *markt* : Als Mao noch jung und unscharf war
 
     
 

 
faz, 20. Mai 2006
Als Mao noch jung und unscharf war: Vorschau auf die Frühjahrsauktionen
bei der Villa Grisebach in Berlin
Von Sandra Kegel

[image] Taxe 400.000/600.000 Euro: Max Pechsteins Gemälde "Kurische
Häuser" von 1911

22. Mai 2006
Das Spitzenwerk der diesjährigen Frühjahrsauktionen bei der Villa
Grisebach in Berlin stammt einmal nicht, wie sonst üblich, von den
Hauskünstlern des deutschen Impressionismus und Expressionismus, sondern
von einem der bedeutendsten Vertreter der Gegenwartskunst, von Gerhard
Richter.

1969 entstand seine enigmatische „Landschaft mit Wolke“, an die sich mit
einer Schätzung von 800 000 bis 1,2 Millionen Euro die höchsten
Erwartungen knüpfen. Wie so oft bei Richter liegt auch diesem 91 mal 86
Zentimeter messenden Gemälde aus Schweizer Privatbesitz eine Fotografie
zugrunde, und wieder verblüfft Richters Kunst, durch Malerei eine nicht
auflösbare Szenerie entstehen zu lassen.

Mao entmystifiziert

[image] Gerhard Richter, „Landschaft mit Wolke” von 1969, Öl auf
Leinwand, Taxe 800.000/1,2 Millionen Euro

Ein weiteres kapitales Werk des Künstlers, das zwei Jahre später
entstand und nicht gegensätzlicher als seine Wolken-Studie sein könnte,
markiert das Spektrum von Richters Schaffen: „Mao, Studie zu 48 Köpfen“
aus dem Jahr 1971 ist eine Überraschung, nicht nur für Kunsthistoriker;
denn das achtzig mal sechzig Zentimeter große Bild, das einen seltsam
kindisch lächelnden Diktator mit Tropenhelm zeigt, war der Literatur
bisher nicht bekannt. Richter selbst hatte das Werk aus den Augen
verloren, nachdem er es nicht in die geschlossene Folge seiner
„berühmten Persönlichkeiten“ aufnahm, die erstmals 1972 auf der Biennale
in Venedig zu sehen war.

Erst vor kurzem wurde „Mao“ in den Nachtrag des Werkverzeichnisses
aufgenommen; Einlieferer ist diesselbe Schweizer Sammlung wie im Fall
der Landschaft. Anders als Warhol, der Maos Antlitz im selben Jahr zur
Pop-Ikone erklärte - der „Große Vorsitzende“ wurde von ihm mal in
Bonbonrosa, mal in Blau und viele andere Farben gehüllt -, nimmt Richter
seinem Mao die tempelartige Mystifizierung, indem er ihn als jungen,
fast schon linkisch wirkenden Mann zeigt. Richters höchst kunstvolle
Malerei in raffinierten Grautönen verstärkt dabei den Eindruck des
Rätselhaften, was dem Werk eine Schätzung von 250 000 bis 300 000 Euro
einbringt.

[image] Taxe 250.000/350.000 Euro: "Mao, Studie zu 48 Köpfen" von
Gerhard Richter, Öl auf Leinwand, 1971

Neben Gerhard Richter kommen neunzig weitere „Ausgewählte Werke“ von
Menzel bis Daniel Richter am 26. Mai in der Berliner Fasanenstraße zur
Versteigerung; die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts folgt, zusammen
mit dem preiswerteren „Third Floor“, am 27. Mai. Werke der Fotografie,
unter anderen von Walker Evans, Diane Arbus und Henry Cartier-Bresson
sowie von Andreas Gursky und Bettina Rheims werden am 26. Mai versteigert.

Große Erwartungen

Nicht jede Saison freilich kann Rekorde bringen, wie es die
erfolgsverwöhnte Villa Grisebach zuletzt im Frühjahr vor einem Jahr
erlebte, als sie mit Beckmanns lilafarbener Schönheit „Anni“ 3,4
Millionen Euro erzielte, den höchsten Zuschlag für ein Kunstwerk bei
einer deutschen Auktion. Weitere Millionenzuschläge bescherten dem Haus
damals mit 22 Millionen Euro den höchsten Umsatz in seiner Geschichte.

[image] „Berghaus (Mit untergehender Sonne)” von Ernst Ludwig Kirchner,
1919, Taxe 300.000/400.000 Euro

Hohe Erwartungen knüpfen sich diesmal an den jungen Max Pechstein, der
1911 expressionistische „Kurische Häuser“ schuf. Aus Schweizer
Privatbesitz eingeliefert, soll die sommerliche Szene in dem Fischerdorf
Nidden 400 000 bis 600 000 Euro bringen. Ernst Ludwig Kirchner malte
1919, nachdem er endgültig in die Schweiz übersiedelt war, das „Berghaus
(mit untergehender Sonne)“, das auf 300 000 bis 400 000 Euro geschätzt
ist. Der dramatische Bildhintergrund mit Gipfel steht in Kontrast zu der
abendlichen Szene im Vordergrund, die das bäuerliche Leben vor der
Almhütte in blaue, grüne und rosafarbene Töne taucht.

Einsam zu zweit

Neben bezaubernden Menzel-Zeichnungen und den typischen Berliner Skizzen
von Lesser Ury fallen zwei düstere Motive besonders ins Auge: zum einen
der Holzschnitt „Zwei Menschen. Die Einsamen“ von Edvard Munch, dessen
Protagonisten - ein Mann und eine Frau - getrennt voneinander und mit
dem Rücken zum Betrachter wie versteinert auf das Meer hinausschauen
(Taxe 50 000/70 000 Euro), zum anderen das fünfte Exemplar von Käthe
Kollwitz' seltener „Pietà“-Lithographie des Jahrs 1903, das der
Literatur bislang unbekannt war (die vier weiteren Abzüge befinden sich
in öffentlichen Sammlungen).

[image] "Zwei Menschen. Die Einsamen" Holzschnitt von Edvard Munch, Taxe
50.000/70.000 Euro

Die Arbeit zeigt die Künstlerin, trauernd über den Leichnam ihres Sohns
gebeugt (40 000/ 60 000). Das Werk ist erschütternd, nicht zuletzt
deshalb, weil es auf unheimliche Weise die biographischen Katastrophe im
Leben der Käthe Kollwitz vorwegnimmt, deren Sohn Peter 1914 als
Kriegsfreiwilliger in Flandern fiel.

Auffällig in dieser Frühjahrsofferte sind die zahlreichen Werke der
Worpsweder Künstlerkolonie. Von Paula Modersohn-Becker stammen vier
Bilder, darunter das „Bildnis der Martha Vogeler vor Winterlandschaft“
von 1906 (150 000/180 000). Mit Tempera auf 54 mal 47 Zentimetern Pappe
gemalt, läßt auch dieses Bild ahnen, daß die Porträtierte mit dem
unwilligen Blick wenig später eine familiäre Krise durchleben wird. Ihr
Gatte Heinrich Vogeler, von dem sich Martha mehr und mehr distanzierte,
malte 1913 im gemeinsamen Haus Barkenhoff die entzückende
Jugendstil-Szene „Tanzende Kinder“, die 50 000 bis 70 000 Euro bringen soll.

Mit Katze zur Linken

[image] "Selbstbildnis mit steifem Hut", Kaltnadelradierung von Max
Beckmann aus dem Jahr 1921, Taxe 50.000/70.000 Euro

Emil Nolde ist mit gleich neun Aquarellen vertreten, zu Taxen von 30 000
bis 140 000 Euro. Auf 50 000 bis 70 000 Euro geschätzt ist Beckmanns
Kaltnadelradierung „Selbstbildnis mit steifem Hut“ von 1921. Das Blatt,
das als Allegorie des Zweifels gedeutet wird - Beckmann blickt wie
erstarrt, scheint allein auf sich selbst fixiert, mit Zigarette in der
Hand und einer Katze zu seiner Linken -, ist einer von fünfzig Abzügen
des vierten und letzten Zustands für die zweite Auflage.

Formen der Verschleierung hat bereits Otto Dix immer wieder
visualisiert. Bereits im Jahr 1923 verhüllt er seiner „Dame mit
Pelzmantel“ das Gesicht mit einem transparenten Stückchen Stoff, -
zugleich als Attribut der exotischen Verführung zu verstehen wie als
Memento menschlicher Vergänglichkeit, für geschätzte 100 000 bis 150 000
Euro.

 

 

with kind regards,

Matthias Arnold (Art-Eastasia list)

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