Tages-Anzeiger, 9. Maerz 2006
Mao-Koepfe, McDonald's-Logo und Bikini-Blondinen
Von Isabelle Harbrecht, Shanghai
Chinas Oberschicht kostet ihren Reichtum aus. Anders als noch vor ein paar Jahren gilt es jetzt als chic, in die einheimische Kunst zu investieren.
"Reichtum in China? Das ist die Realitaet! Sie kommen aus dem ganzen Land und kaufen!" Victoria Lu, Kreativchefin des kuerzlich eroeffneten Museums fuer Moderne Kunst in Shanghai, geraet in Aufregung. Doch noch hat die 54-Jaehrige nicht viel Gutes ueber ihre Landsleute zu sagen: "Sie sind kunstblind, sammeln mit den Ohren statt mit den Augen."
Chinas Oberschicht moechte ihren neuen Reichtum auskosten. Und seit kurzem investieren Banker, Unternehmer und Firmenchefs Riesensummen in zeitgenoessische einheimische Kunst. Dadurch waechst nicht nur der Markt, auch die Preise steigen wie unter Zeitdruck. Alle paar Tage finden in den Metropolen entlang der reichen chinesischen Ostkueste Auktionen statt. Moderne Oelgemaelde erzielen dort inzwischen hoehere Preise als alte Tuschemalereien, die noch zur Zeit der kaiserlichen Dynastien entstanden.
Die mittlere Preiskategorie liegt bei 30 000 Dollar. Im November wurde mit3,7 Millionen US Dollar fuer ein Gemaelde des aus der westchinesischen Provinz Jiangsu stammenden Kuenstlers Wu Guanzhong eine neue Rekordsumme gezahlt.
Viele spekulative Investitionen
Jahrzehntelang stand Kunst in China vor allem im Dienst kommunistischer Propaganda. Erst seit wenigen Jahren entdecken die Chinesen moderne und klassische Werke wieder - das Interesse ist jedoch vor allem wirtschaftlich motiviert. "Vor zehn Jahren fand auf Taiwan dasselbe Schauspiel statt. Es wurden enorme Summen fuer Bilder taiwanischer Kuenstler bezahlt. Heute interessiert sich keiner mehr dafuer", sagt Lu. Auf dem Festland werden Investitionen auf dem Kunstmarkt heute genauso spekulativ getaetigt wie im Immobilienmarkt. Doch die Gefahr, letztlich alles zu verlieren, ist noch groesser.
Schnell koennen die Namen chinesischer Kuenstler ihre Attraktivitaet einbuessen, denn die Konkurrenz ist gross. Allein im Shanghaier Kuenstlerviertel in der Moganshanstrasse haben ueber hundert Maler ihre Ateliers eingerichtet. Der Markt bestimmt den Stil ihrer Werke. Gekauft werden hauptsaechlich realistische Oelgemaelde, ausgefeilte Techniken sind gefragt. Im internationalen Handel erzielt vor allem der politische Pop hohe Preise: Mao-Koepfe mit McDonald's-Logo, Bikini-Blondinen neben chinesischen Soldaten. Auslaender wollen die Klischees.
Doch die meisten Kaeufer kommen inzwischen aus China. Wu Menghua, die auf der Suche nach neuen Kuenstlern fuer ihre Galerie Shine Art Space die Shanghaier Kuenstlerateliers durchstoebert, sieht in den zeitgenoessischen Werken den chinesischen Charakter: "Die Maltechnik wurde aus dem Westen uebernommen, aber der Sinn, die Empfindungen sind sehr chinesisch, wenn auch nicht auf traditionelle Weise."
Politisch ist die neue, profitorientierte Generation chinesischer Kuenstler nicht. "Sie malen, was sie jeden Tag sehen und was sie interessiert", sagt Wu Menghua. Und die Regierung belohnt das mit Duldung und finanzieller Unterstuetzung. Bis zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking sollen Geruechten zufolge 32 neue Museen eroeffnet werden. Shanghai will bis zur Weltausstellung zwei Jahre spaeter sogar hundert neue Haeuser eroeffnen.
Ausstellungen wie ein Freizeitpark
Das Museum fuer zeitgenoessische chinesische Kunst wird als unabhaengiges, gemeinnuetziges Museum eine Ausnahme bleiben. Mit Theaterkursen, Kinderanimation und Eventdinnern moechte es sich von der Kulturkonkurrenz abheben. "Die Leute denken, in Museen haengen Bilder an einer weissen Wand. Unsere naechste Ausstellung aber wird wie ein Freizeitpark. Wir sind das Museum des 21. Jahrhunderts." Kreativdirektorin Lu ist verantwortlich fuer die Praesentation der Anime-Ausstellung "Fiction@Love" im Januar. Waehrend die Auktionshaeuser noch realistische Kunst zu Rekordpreisen versteigern, macht die Szene bereits den naechsten Schritt hin zu grafischen Werken. Die neue chinesische Kuenstlergeneration ist im Zeitalter von Internet, E-Mail und Handynachrichten aufgewachsen und beginnt ihre Eindruecke in Form von Comicbildern zu verarbeiten. Fuer die rothaarige Kreativdirektorin Lu keine ueberraschende Veraenderung: "Alles passiert hier extrem schnell, das ist der Charme und das Mysterium von Shanghai."
Erst seit wenigen Jahren entdecken die Chinesen klassische Werke wieder.
with kind regards,
Matthias Arnold (Art-Eastasia list)
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