March 15, 2006:

[achtung! kunst] *ausstellung* : Berlin, Haus der Kulturen der Welt: "China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft"
 
     
 


Berliner Morgenpost, 2. März 2006
Wenn die Erde bebt
Das Haus der Kulturen der Welt beschäftigt sich mit den rasanten Veränderungen in der chinesischen Kunst
Von Uwe Sauerwein

Es ist gar nicht so lange her, da witzelte man über das Reich der Mitte. Sprängen alle Chinesen gleichzeitig in die Luft, erzählte man uns Kindern, würde in Deutschland die Erde beben. Genau das geschieht nun, wenn auch im übertragenen Sinne. Die rasante Entwicklung der chinesischen Wirtschaft verändert die Weltordnung nicht nur ökonomisch, er beeinflußt unsere Wertesysteme: Kürzlich etwa unterwarf Google sein chinesisches Internet-Portal der staatlichen Zensur.

"Wenn wir uns mit China beschäftigen, beschäftigen wir uns auch mit unserer eigenen Gesellschaft", erklärte Bernd Scherer, der neue Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, gestern bei der Präsentation des Projekts "China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft". Tatsächlich darf man das Festival, das neue Formen in Kunst, Musik, Oper, Literatur und Film und ihren Bezug zu den großartigen Traditionen Chinas vorstellt, zu den ambitioniertesten und nach dem Iran-Schwerpunkt wohl auch politisch pikantesten Vorhaben des HKW in jüngster Zeit zählen. Gezeigt werden soll, wie in einem der wichtigsten Länder der Welt mit den radikalen Veränderungen umgegangen wird. Wie in Europa und Deutschland ist auch die kulturelle Geschichte Chinas mehrfach gebrochen - vor allem durch die japanische Besatzung, die kommunistische Machtübernahme, die Kulturrevolution und zuletzt die wirtschaftliche Öffnung, die vor allem in den Städten zu einem fast ungebremsten Kapitalismus führte. Ein internationales Symposium soll daher zu Beginn des Festivals in die Thematik "kulturelles Gedächtnis" einführen.

Das Festival soll Wechselwirkung ausstrahlen: von den sechs Uraufführungen im Bereich Musiktheater werden später fünf in Shanghai gespielt. Nicht weniger als 300 verschiedene Stile kennt die chinesische Oper (Xiqu), fünf davon werden in Berlin in einem Solisten-Projekt vorgestellt. Herausragende Einzelkünstler beschäftigen sich in ihren Performances mit jeweils einer dieser Traditionen und stellen dabei neue Statements vor.

Das größte Projekt, mit etwa 70 Darstellern, entsteht in Zusammenarbeit mit der Komischen Oper. Ein symphonisches Drama über Mei Lanfang, die Ikone chinesischer Operntradition. Als der Darsteller und Erneuerer der Pekingoper 1934 für vier Monate in Moskau gastierte, machte ihm Europas Avantgarde von Brecht bis Eisenstein ihre Aufwartung. Das Bejjing Jingiu Theatre, Chinas größtes und traditionsreichstes Pekingoper-Ensemble, gastiert mit dieser Aufführung (26. und 27. April) erstmals mit einer Inszenierung in Europa. Eine weitere Uraufführung ist die Kammeroper "Fantasy of the Red Queen" von Liu Sola durch das Ensemble Modern.

Der "experimentellen Fotografie" gilt eine Ausstellung mit Werken von 60 Künstlern. Namhafte Autoren, darunter Gao Xingjang, Nobelpreisträger von 2000, sind im Literaturprogramm vertreten, das chinesische Literatur aus der ganzen Welt präsentiert. Man darf auf Debatten gespannt sein bei diesem Festival, das, so wird betont, ohne Gängelung der Regierung in Peking zustande kam. "Das ist die Stärke eines Kulturprogramms, sich kritisch äußern zu können, ohne unbedingt auf die politische Ebene zu wechseln", so Intendant Scherer.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten. Tel.:39 78 71 75. 24.3.-14.5., Programm unter www.hkw.de

http://morgenpost.berlin1.de/content/2006/03/02/feuilleton/814062.html

 

with kind regards,

Matthias Arnold (Art-Eastasia list)

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