Welt, 31. Dezember 2005
Der europäische Blick nach China
Sammler und Galeristen entdeckten schon früh die Qualitäten der Künstler
aus der Volksrepublik
von Ulrike Münter
Mittlerweile hat der Markt für zeitgenössische chinesische Kunst eine
ungeahnte Eigendynamik entwickelt. Ausländische, vor allem auch
europäische Galeristen, die sich auf das Pendeln zwischen den
Kontinenten einließen, konnten sich in den vergangenen Jahren nicht über
mangelnde Verkäufe beklagen. Allerdings leisteten sie auch Pionierarbeit.
Bis vor einigen Jahren haftete Galerien für chinesische Gegenwartskunst
noch der Verdacht des Kolonialistisch-Exotischen oder gar Esoterischen
an. Nachdem aber die Präsenz dieser Werke der Nach-Mao-Ära auf den
Auktionen, Messen und in den Museen nicht mehr zu übersehen ist und die
Preise mit großen Sprüngen in die Höhe schnellen, versuchen auch
Galerien, die sich bis dato nicht im geringsten für China interessiert
haben, an dieser Entwicklung zu partizipieren.
Wirkliche Experten auf dem Gebiet der chinesischen Moderne haben bereits
anstrengende Jahre der Aufbauarbeit hinter sich. Bekanntestes Beispiel
ist der ehemalige Schweizer Botschafter in China und Sammler
chinesischer Gegenwartskunst, Uli Sigg. Bereits in den 80er Jahren
suchte er den Kontakt zur chinesischen Kunstszene (WELT v. 14. Juni).
Während bis heute nur wenige chinesische Galeristen und Sammler von
ihrer Präferenz für Tuschemalerei und alte Keramik abzubringen sind,
entdeckten die ersten ausländischen Beobachter der Kunstszene bereits
kurz nach der Kulturrevolution das Potential der jungen chinesischen Kunst.
Im deutschsprachigen Raum sind es vor allem vier Galerien, die seit den
90er Jahren schwerpunktmäßig chinesische Gegenwartskunst vertreten:
Alexander Ochs Galleries Berlin/Beijing, L. A. Galerie Lothar Albrecht
(Frankfurt am Main/Beijing), Galerie Urs Meile/CAAW (Luzern/Beijing) und
der Schweizer Lorenz Helbling von "Shanghart", der allerdings die Zelte
in Europa zugunsten Shanghais ganz abgebrochen hat.
Lorenz Helbling hat seit seiner Galerieeröffnung 1996 in Shanghai ein
klares Ziel vor Augen: er will der zeitgenössischen chinesischen Kunst
zu der ihr angemessenen Anerkennung im eigenen Land verhelfen. Ihn
begeisterte die energiegeladene Künstlerszene Shanghais. Die Sammler und
Käufer waren aber bis vor kurzem fast durchgängig Ausländer. "Uns geht
es darum, diese Kunst in China zu zeigen, denn die Zukunft dieser Kunst
liegt hier. Darum arbeiten wir auch häufig mit chinesischen Museen
zusammen. Daß wir auch an internationalen Messen und Ausstellungen
interessiert sind, ist eher Mittel zum Zweck. Reiner Kunstexport hat
mich nie interessiert. Ich sah China nie als neuen Lieferanten für den
hungrigen westlichen Kunstmarkt."
Einige Künstler von Shanghart haben bereits ihren Platz in der
Kunstgeschichte der Chinesischen Gegenwartskunst sicher, so etwa Wang
Guangyi (geb. 1956) mit seinen großformatigen Bildern und Skulpturen, in
denen Kulturrevolutionspathos mit Slogans wie "No Art" kombiniert wird
oder Zhao Bandi (geb. 1966) mit seinen kunstmarktkritischen Satiren.
Lothar Albrecht versteht seine Galerien in Frankfurt und Peking
programmatisch als "Boy-Scout-Galleries'. Die Zusammenarbeit mit seinem
chinesischen Partner Wei Wei ermöglicht ihm den notwendigen Kontakt zur
Kunstszene. Bei den Ausstellungsankündigungen tauchen zum Teil Namen
auf, die man sonst noch nirgends gehört hat. Hier werden einschneidende
Zäsuren in Künstler-Biographien vorgenommen. Ein Beispiel ist der zuvor
völlig unbekannte Maler Huang He (geb. 1977), der bei seiner ersten
Ausstellung gleich mehre Bilder verkaufte. "Ich wohne hier ganz in der
Nähe der Galerie und habe dem L. A.-Team einfach mal ein paar Arbeiten
von mir gezeigt. Die kamen dann in meinem Atelier vorbei und wir planten
kurz darauf die Ausstellung", erzählt der Künstler nicht ohne Stolz. Das
Glanzlicht der Galerie sei aber eindeutig die am 18. November zu Ende
gegangene Soloausstellung Zhao Nengzhis (geb. 1968) gewesen, so Albrecht
euphorisch. "Die Klientel für chinesische Kunst kam bis vor kurzem
überwiegend aus europäischen Ländern, vor allem Frankreich und
Deutschland. Aber plötzlich kaufen auch die Amerikaner verstärkt. Den
neuerdings vermehrt auftauchenden chinesischen Käufern geht's vor allem
um eine Geldanlage."
Seit 1992 hat der Schweizer Galerist Urs Meile seine Galerie in Luzern.
Ein 2003 geschlossener Partnerschaftsvertrag mit CAAW (China Art
Archives and Warehouse) in Beijing gewährleistet die Zusammenarbeit mit
einer Institution, die durch ihren Begründer Hans Van Dijk bereits seit
Mitte der 80er Jahre in direktem Kontakt mit der chinesischen Kunstszene
steht. Anfang 2006 wird in der Nähe von CAAW eine eigene Galerie
eröffnen. Entworfen hat das Gebäude der Künstler und Direktor von CAAW,
Ai Weiwei, der auch die am 16. Oktober in Bern zu Ende gegangene
Ausstellung "Mahjong. Chinesische Gegenwartskunst aus der Sammlung Sigg"
mitkuratiert hat. Neben gefragten jungen Positionen der chinesischen
Kunst, wie z. B. der Malerei Li Songsongs (geb. 1973), gehören die
Skulpturen und Installationen Ai Weiweis (geb. 1957) und die monochromen
Landschaften Qiu Shihuas (geb. 1940) zu den Highlights der Galerie. In
den vergangenen 18 Monaten hätte sich die Marktstruktur gravierend
verändert, bestätigt auch Urs Meile. "Sammler, die zuvor zwar
internationale, aber eben keine chinesische Kunst gekauft haben, sind
nun sehr stark daran interessiert möglichst schnell Vertreter wichtiger
zeitgenössischer Positionen aus China in ihr Repertoire aufzunehmen.
Manche Künstler haben jetzt schon Wartelisten bis zu zwei Jahren." Auf
die Frage, wie er in Kontakt mit der chinesischen Kunstszene kam,
verweist er auf seine 15 jährige Freundschaft mit Uli Sigg
Alexander Ochs hat sich in Berlin gerade den Traum von der "idealen
Galerie' erfüllt. Mit Feng-Shui-Berater an der Seite entwarf er die am
25. September eröffneten neuen Räume. Seine chinesische Galerie befindet
sich in Beijings Dashanzi New Art District, einem Gebäudeareal, das bis
Mitte der 80er den einst größten militärischen Komplex Asiens ausmachte.
In den vergangenen Jahren wurde das nach seiner zentralen
Ausstellungshalle kurz "798" genannte Gelände zum absoluten "Muß' eines
jeden Kulturtouristen in Peking. Nicht nur viele internationale Galerien
haben hier ihren Zweitsitz gefunden, auch Ateliers, Cafés, Bars und
Shops verbergen sich hinter bröckelnden Fassaden und in labyrinthischen
Gängen. Mit Künstlern wie Fang Lijun (geb. 1963), vertritt Alexander
Ochs einen der bereits hochdotierten chinesischen Gegenwartskünstler.
"Peter Ludwig erwarb vor 12 Jahren das Gemälde "Serie 2. Nr. 2' des
damals 30 jährigen Fang Lijun für 18 000 Dollar. Bei Sotheby`s Hong Kong
erzielte kürzlich eine Arbeit Fangs in vergleichbarer Größe einen Preis
von 180 000 Dollar. Ein großer Teil des westlichen Publikums entdeckt
gerade erst die "neue' chinesische Kunst und kann deshalb solche
Preisentwicklungen nicht nachvollziehen."
Neueinsteiger können sich immer noch in relativ kurzer Zeit einen
Überblick über Entwicklungen der Szene verschaffen. Nicht vergessen
werden darf, daß hier von einem Zeitraum von ca. 25 Jahren die Rede ist.
Viele Beobachter gehen so weit, die ersten zehn Jahre nach Maos Tod als
Orientierungsphase der Künstler zu bewerten und die international
aussagekräftigen Arbeiten den letzten 15 Jahren zuzuordnen. Wer aber
jenseits des Geldmarktes an einem Verstehen dieser Werke interessiert
ist, dem werden täglich mehr Fragen zur Kultur dieses Landes aufgegeben.
http://www.welt.de/data/2005/12/31/825030.html
with kind regards,
Matthias Arnold (Art-Eastasia list)
http://www.chinaresource.org
http://www.fluktor.de
__________________________________________
To (un)subscribe or to access the searchable archive please go to:
http://listserv.uni-heidelberg.de/archives/art-eastasia.html
For postings earlier than 2005-02-23 please go to:
http://www.fluktor.de/study/office/newsletter.htm