NZZ, 3. Januar 2006
Museen als Orte räumlicher Vielfalt
Eine Begegnung mit dem chinesisch-amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei
Im nächsten Sommer soll in Luxemburg das neue Kunstmuseum eröffnet
werden. Autor des Musée d'art moderne Grand- Duc Jean ist der in New
York tätige und durch die Louvre-Pyramide in breiten Kreisen bekannt
gewordene Ieoh Ming Pei. Mit dem 1917 geborenen Architekten und
Pritzker-Preis-Träger sprach Ulf Meyer in Luxemburg.
In diesem Jahr werden gleich drei Ihrer Museen fertiggestellt: in Dauha,
Suzhou und in Luxemburg. In einem Alter, da andere Menschen längst den
Ruhestand geniessen, arbeiten Sie gleichzeitig auf drei Kontinenten.
Manchmal wünschte ich, dass ich jünger wäre. Denn jeder Ort, an dem ich
tätig sein darf, lehrt mich etwas Neues; und die unterschiedlichen
kulturellen Kontexte zwingen mich dazu, mich zu verändern.
Die Bedeutung des Bauherrn
Haben Ihnen die staatlichen Auftraggeber in Luxemburg beim Entwurf freie
Hand gelassen?
Eine Laissez-faire-Einstellung der Auftraggeber tut Architekten meist
nicht gut. Entwerfer brauchen starke Bauherren, an denen sie sich reiben
können. Ich entwerfe kontextuell und bin nicht bestrebt, an jedem Ort
auf der Welt meine unverkennbare Handschrift zu hinterlassen. Ich
verstehe meine Baukunst nicht als «Brand» oder als internationale Marke.
Um es mit Ludwig Mies van der Rohe zu sagen: Ich möchte nicht neu sein,
sondern gut! Architektur ist für mich eine pragmatische Kunst, die auf
Notwendigkeit basiert. Freiheit im Ausdruck gibt es nur innerhalb des
Rahmens von Bewegung, Mass und Proportion. Dies immer bezogen auf den
Genius Loci.
Sie gelten als der «Architekt der Mächtigen»: Zu Ihren wichtigsten
Bauherren zählten die Kennedys, die Kommunistische Partei Chinas und
François Mitterrand. Glauben Sie, dass es Helmut Kohl mit dem Deutschen
Historischen Museum in Berlin und Jacques Santer mit dem Luxemburger
Musée d'art moderne Grand-Duc Jean in Sachen Prestige Mitterrand
gleichtun wollten?
Santer hätte eine zweite Amtszeit gebraucht, um genügend Einfluss auf
dieses Projekt zu nehmen. Aber ein guter Bauherr ist für mich auf jeden
Fall wichtiger als das Bauprojekt selbst.
Sie haben Ihr ganzes Leben lang Museen entworfen: vom Erweiterungsbau
der Nationalgalerie in Washington über die Museen in Boston und im
japanischen Shigaraki bis hin zu den Erweiterungen in Paris und Berlin,
um nur einige zu nennen. Suchen Sie den universellen Raum, oder wollen
Sie vielmehr Räume schaffen, die auf die Kunstwerke zugeschnitten sind?
Als ich mich Anfang der neunziger Jahre daran machte, den Neubau für
Luxemburg zu entwerfen, war die Sammlung des Museums noch sehr mager. Da
ich mich nicht allzu sehr auf eine bestehende Sammlung beziehen konnte,
versuchte ich Räume zu schaffen, die einen geeigneten Hintergrund für
ein breites Spektrum von Kunst bilden - Räume mit Oberlichtern und
Wänden aus honigfarbenem französischem Kalkstein. Die bisher einzigen
Skulpturen in dem Gebäude sind die Wendeltreppen. Jedes Stockwerk hat
seine eigene Lichtstimmung und eignet sich daher für unterschiedliche
Werke. Aber meine Architektur soll sich nicht in den Vordergrund drängen
und der Kunst die Schau stehlen. Sie soll lediglich motivieren: Die
Oberlichter und die attraktiven Aufgänge sollen die Besucher verlocken,
sich in allen Etagen umzusehen. Ich wollte Innenräume schaffen, die eine
hochkarätige Sammlung überhaupt erst anziehen. Als Architekt muss man
ein Museum so entwerfen, dass es auch einer anderen Sammlung als der
vorhandenen dienen könnte.
Inflationär wirkender Bauboom
Wir erleben einen weltweiten Museumsboom.
Ja, angesichts dieser Inflation wirkt es fast so, als hätte das Museum
als der das Stadtbild prägende Typus die Stelle eingenommen, die einst
den Kirchen zukam.
Das Luxemburger Projekt ist das langwierigste Ihrer ganzen Karriere.
Mehrmals gab es längere Baustopps. Waren die Baupausen dem Projekt zu-
oder abträglich?
In diesem Fall war die lange Planungs- und Bauzeit kein Vorteil. Neben
einem Streit um den richtigen Stein erwies sich die Lage des
Haupteingangs als das grösste Problem. Der Zutritt konnte nicht - wie
ursprünglich von mir vorgesehen - durch das benachbarte Fort erfolgen.
Er musste auf die andere Seite der Gebäudes verlegt werden. Damit wurde
meine Wahl des Bauortes eigentlich hinfällig.
Was bedeutet es Ihnen, in Luxemburg und damit einmal mehr in Europa zu
arbeiten?
Luxemburg ist für mich eine Schnittstelle zwischen der französischen und
der deutschen Kultur und als solche sehr interessant, weil ich in beiden
Ländern schon Museen entworfen hatte. In Paris und Berlin hätte ich
niemals erfolgreich sein können ohne Kenntnis der jeweiligen Geschichte.
Europa ist für mich so faszinierend, weil es äusserst vielfältig ist.
Ich hoffe, dass diese Vielfalt auch künftig in der EU erhalten bleibt
und sich in Luxemburg widerspiegeln wird.
http://www.nzz.ch/2006/01/03/fe/articleD8Q7O.html
with kind regards,
Matthias Arnold (Art-Eastasia list)
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