January 28, 2006:

[achtung! kunst] *exhibition* : again London, Royal Academy: The Three Emperors
 
     
 


FAZ, 19. Januar 2006
China-Ausstellung
Manchmal mußte es für den Himmelssohn Rokoko sein
Von Andreas Platthaus, London

[image] Anonyme Hofmaler: Yongzheng-Kaiser im Kostüm, Yongzehng-Periode (1723-1735)

Häufiger hätte der Herrscher nicht in die Sommerfrische fahren dürfen. Denn immer wenn der Qianlong-Kaiser sein Domizil am Fuße des Bergs Pan, achtzig Kilometer nordöstlich von Peking, aufsuchte, wurde in seinen Gemächern ein Rollbild aufgehängt, das er selbst 1745 gemalt hatte: die Ansicht des Anwesens aus halber Vogelperspektive. So stolz war der Kaiser auf dieses in seinem Auftrag errichtete „Berghaus des friedvollen Wohnens”, wie er es getauft hatte, daß er bei jedem Besuch auf dem Rollbild ein Gedicht ergänzte, das er unter dem Eindruck seiner Spaziergänge geschrieben hatte.

Da das Anwesen auf der Reiseroute zum Sommerpalast in Rehe lag, kam der Herrscher oft vorbei. Insgesamt weist das heute im Pekinger Palastmuseum verwahrte Bild vierunddreißig Gedichte auf, und der Kaiser mußte für die letzten nach halbwegs freien Bildpartien in der Landschaft suchen. Als er die Ansicht gemalt hatte, war er vierunddreißig Jahre alt und hatte noch vierundfünfzig vor sich.

Der größte Sammler der Welt

[image] Giuseppe Castiglione: Kaiserliche Hasenjagd, 1755
Es gibt kein anderes Kunstwerk, welches das Selbstverständnis des Qianlong-Kaisers besser zum Ausdruck bringt als dieses Rollbild. Das will etwas heißen, denn er war nicht nur selbst ein begabter Dichter und Maler, sondern auch der größte Sammler, den die Welt jemals sah. Er hatte ja auch sechzig Jahre Zeit dazu, die längste Dauer, die je ein Herrscher auf dem chinesischen Thron verbracht hat. Noch dazu in einem innerlich gefestigten Reich. Dafür hatten Großvater und Vater gesorgt: der Kangxi-Kaiser und der Yongzheng-Kaiser. Unter diesem Dreigestirn erreichte China die größte Ausdehnung seiner Geschichte. Und den größten Prunk.

Der Qianlong-Kaiser war wie seine Vorfahren ein Mandschu, ein Fremdherrscher aus einem von den Chinesen als Barbaren angesehenen Volk. 1644 war der Urgroßvater mit seinem Heer in China eingefallen, hatte den letzten Monarchen aus dem Hause Ming abgesetzt und als Shunzhi-Kaiser die Qing-Dynastie begründet. Seitdem bemühten er und seine Nachfahren sich darum, ihren neuen Untertanen insoweit vorbildliche Herrscher zu sein, als daß sie die alten Gebräuche Chinas pflegten. Und zur traditionellen Rolle eines Kaisers zählte die Leidenschaft für Kunst.

Eine gewaltige Sammlung

[image] Schnupftabakflasche aus der Yongzheng-Periode
Deshalb baute der Qianlong-Kaiser seine gewaltige Sammlung auf. Heute besteht sie aus zwei Teilen: Die Lieblingsstücke der letzten Kaiser, immerhin einige hunderttausend, nahm Tschiang Kai-schek 1949 ins Exil nach Taiwan mit; sie bilden heute den Kern des Nationalen Palastmuseums von Taipeh. Der Rest, noch zahlreichere Werke von kaum geringerem Rang, verblieb in China und befindet sich im Palastmuseum von Peking in der Verbotenen Stadt.

Die beiden Institutionen stehen miteinander im ideologischen Kampf um die Vertretung des wahren China. Diesem Kampf war in den letzten Jahren eine Fülle von hochkarätigen Ausstellungen zu verdanken, für die beide Häuser Kunstwerke nach Europa und in die Vereinigten Staaten entsandt haben, die China nie zuvor verlassen konnten. Eine Ausstellung übertraf die andere, und die bisherige Krönung all dessen ist derzeit in der Royal Academy in London zu bewundern, wohin das Pekinger Palastmuseum fast dreihundert Stücke ausgeliehen hat, die sich in Reichtum wie Bedeutung einer Beschreibung fast entziehen. Eines, und wohl das erstaunlichste, ist das Rollbild des Kaisers.

Große Meisterwerke

[image] James Cox: Uhr in Form eines Kranichs, 18. Jahrhunderts
Etwas so Persönliches hat man von Chinas Herrschern nie gesehen. Dabei enthält die Ausstellung, die sich allein auf den für chinesische Verhältnisse kurzen Zeitraum von 1662 bis 1795 beschränkt und damit auf die Regierungszeit des Kangxi-, Yongzheng- und Qianlong-Kaisers, viele private Zeugnisse aus dem innersten Kreis des Hofes. Kalligraphien der drei Kaiser etwa, die sich immer weiter um Perfektionierung ihrer chinesischen Sitten und Fertigkeiten bemühten; ein komplettes Thronarrangement aus einer der Audienzhallen in der Verbotenen Stadt; alte Kaisergewänder und die in ihrer psychologischen Wahrheit unglaublichen Hofporträts, die von anonymen Malern angefertigt wurden und dennoch zu den großen Meisterwerken der chinesischen Kultur zählen.

Einige sind als Andachtsbilder erst nach dem Tod der jeweils Abgebildeten entstanden und zeigen die Kaiser bei privaten Verrichtungen. Andere entstanden zu Lebzeiten und geben Auskunft über persönliche Interessen. Vom Theaterfimmel des Yongzheng-Kaisers etwa, der trotz seiner relativ kurzen Regierungszeit (1723 bis 1735) der effektivste Verwalter des Reiches in seiner Dynastie war. Er ließ sich in dreizehn verschiedenen Rollen malen, darunter auch als europäisch gekleideter Tigerjäger, der in schwarzer Allonge-Perücke auf die Pirsch geht - allein dieses Bild lohnt den Weg nach London.

Neugier auf westliche Kultur

[image] Anonyme Hofmaler: Bild aus der Serie "Zwölf Schönheiten bei der Freizeit", zwischen 1709 und 1723
Denn es ist ein Musterbeispiel für das unausgesprochene Gravitationszentrum dieser Ausstellung: die Neugier der angeblich allein auf China fixierten Kaiser auf westliche Kultur. Nie zuvor sind im Westen so viele Bilder von Giuseppe Castiglione gezeigt worden, der als Jesuit an den Kaiserhof kam - diese Tradition bestand schon zur Ming-Zeit - und dort als Lang Shining zum einflußreichsten Maler unter gleich zwei Herrschern, dem Yongzheng- und dem Qianlong-Kaiser, wurde. Seinem Vorbild verdankt letzterer etwa den perspektivischen Aufbau des eigenen Rollbildes mit dem Blick auf sein Berganwesen.

Castiglione sorgte für eine Revolution in der Hofmalerei. Plötzlich kam in die einförmige Staffage von Monumentalbildern Bewegung: Die dargestellte Masse von Untertanen individualisierte sich. Soldaten etwa blickten sich nach dem Herrscher um und fielen damit aus der Rolle. Die chinesischen Künstler am Hofe wurden von dem Italiener fortgebildet, der Kaiser ließ sich ein Palais im Rokoko-Stil von ihm bauen. Castiglione genoß die Freundschaft der Himmelssöhne selbst. Der Qianlong-Kaiser schrieb nach dem Tod des Malers auf eines von dessen Porträts in konfuzianischer Bescheidenheit: „Shining beherrscht die Porträtkunst meisterhaft, und er malte mich während meiner jüngeren Jahre; der Weißhaarige, der heute den Raum betritt, erkennt nicht, wer das ist.”
Giuseppe Castiglione: Friedliche Frühlingsbotschaft, um 1736

Die Glanzpunkte der Londoner Schau sind unübersehbar, doch eine Abteilung ist besonderer Aufmerksamkeit wert. Kaum einer der Besucher verirrt sich ins Seitenkabinett mit den Werken gelehrter Maler, die abseits des Hofes arbeiteten. Sie waren meist Parteigänger der Ming und verweigerten den Mandschu-Kaisern ihre Dienste. In diesen Bildern wird die innere Emigration zur ästhetisch höchsten Vollendung gebracht, und man darf es den Herrschern in Peking hoch anrechnen, daß sie manche dieser Werke später in ihre Sammlung aufnahmen. Sie waren chinesischer geworden als ihre Untertanen selbst, und der Respekt vor den Meistern ließ sie über deren Botschaft einfach hinwegsehen.

[image] Giuseppe Castiglione: Friedliche Frühlingsbotschaft, um 1736

Bis zum 17. April. Der nicht immer perfekt gedruckte, aber hochinformative Katalog kostet 27,95 Pfund.

http://www.faz.net/s/RubEBED639C476B407798B1CE808F1F6632/Doc~E9E6FA4F743E84D06AF145 CCA7CD66BB9~ATpl~Ecommon~Scontent.html


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tagesspiegel, 08.01.2006
Supermacht in Seide
China erobert London: Die Royal Academy of Arts feiert die Pracht der Qing-Dynastie
Von Julia Grosse

China ist Londons offizieller Kulturschwerpunkt des Jahres 2006. Die kommenden zwölf Monate sollen in Museen und Galerien neben historischen Zeugnissen auch zeitgenössische Positionen vorgestellt werden. China, die kommende Wirtschaftssupermacht, ist zwar in aller Munde. Doch vor allem unsere Kenntnis im Bereich der aktuellen Kunstproduktion ist nach wie vor gering. Und das, obwohl die Zukunft des Museums bald in China liegen könnte: das Kulturministerium teilte mit, dass bis 2015 eintausend neue Museen entstehen sollen.

Alles blickt nach vorn, und vielleicht beginnt Londons kulturelles China-Jahr deshalb gerade bewusst in der Vergangenheit. Wie eine Art historischer Einführungskurs. Die zu Recht gefeierte Ausstellung „China: Die drei Kaiser, 1662-1795“ in der Royal Academy of Arts präsentiert über 400 atemberaubende Objekte dreier Kaiser der legendären Qing-Dynastie, jener Dynastie also, die 1911 glanzlos zu Ende ging. Die Regierungszeit der drei bekanntesten Qing-Kaiser aus dem Volk der Mandschu – Kangxi, Yongzheng und Qianlong –, 1662-1795, war dagegen geprägt von Repräsentation, wirtschaftlicher Blüte und kultureller Neugier. Dennoch war der Genuss der Schätze stets nur einem erlauchten Kreis vorbehalten. Erst 1925 öffnete das neu gegründete Palastmuseum in Peking dem Volk seine Tore. Nach Jahrhunderten konnten die Chinesen endlich die Seele des Kaiserreichs bewundern.

Vor allem bei den aufwändigen Darstellungen glorreicher Taten wird deutlich, dass Kaiser Kangxi (1662-1722) und sein Enkel Qianlong (1736-95) die glanzvollen Helden waren. Gelehrte wie auch militärische Machthaber, unternahmen beide zahlreiche Reisen, förderten Kunst und Techniken, unterstützen den Tibetanischen Buddhismus aus privater wie politischer Motivation. Überschattet vom starken Vater und glanzvollen Sohn war der relativ kurz herrschende Yongzheng (1723-35). Die Ausstellung zeigt Yongzhengs Rolle als Kunstfreund und begeisterten, etwas bürokratisch daherkommenden Archivar: Auf meterlangen Rollbildern ließ er seine Sammlung aus kostbaren Vasen, Figuren, Schalen akribisch festhalten.

Neben bestens erhaltenen, prächtigen Gewändern, Porzellan, Kalligrafien oder verschwenderisch mit Jade besetzten rituellen Gefäßen sind die Höhepunkte der Schau die wandfüllenden Repräsentationsgemälde. In einer Architekturzeichnung aus der Qianlong-Herrschaft liegt einem das schneebedeckte Peking aus der Vogelperspektive als nervöse Metropole zu Füßen. Im Vordergrund das geschäftige Finanzviertel, erstreckt sich dahinter die Verbotene Stadt, das Zentrum des Hofalltags. Die Kaiser Kangxi und Qianlong ließen ihre Reisen und Kriege für die Ewigkeit festhalten und forderten von der Malerei das, was heute ein großes Kamerateam leisten kann. Kaiser Qianlongs südliche Inspektionstour wurde auf zwölf Rollen reiner Seide gebannt. Eine Art narrative Dokumentation, in verklärender Gestalt eines pompösen Historienpanoramas. Die letzte, die Heimkehrszene, löst sich auf in endlosen Mustern aus gelb uniformierten Leibwächtern: Die Darstellung der Macht wird hier erhöht zur absoluten Ästhetik.

Die Tatsache, dass am Hof auch europäische Maler, wie der italienische Jesuit Guiseppe Castiglione, beschäftigt waren, brachte reizvolle künstlerische Kompromisse hervor. Jagdszenen erscheinen in perfekter Zentralperspektive, die sanft modellierten Gesichter verliehen den Herrschern individuelle Züge. Material – Tinte, Seide – und zarte Symbolik blieben dagegen der chinesischen Tradition verhaftet, und die Macht des Kaisers lag nicht zuletzt auch darin, sich in den unzähligen Darstellungen immer wieder neu zu erfinden. So erscheint Kaiser Qianlong einmal beseelt als tibetanischer Lama. In einem anderen wandfüllenden Bild sitzt er hoch zu Ross wie Davids Napoléon, sein plastisch gestalteter Kopf ragt aus einer zeremoniellen Rüstung, die Castiglione in chinesischer Tradition als durchmusterte Fläche gestaltete.

Vor rund zwanzig Jahren, im Sommer 1985, gaben diese einzigartigen „Schätze aus der Verbotenen Stadt“ ein Gastspiel im damaligen West-Berlin und bescherten dem Martin-Gropius-Bau innerhalb von drei Monaten traumhafte Besucherzahlen: Die Bestände aus den Palastmuseen sahen damals über 400 000 Besucher. Die Ausleihe der Werke bedurfte seinerzeit erheblicher diplomatischer Anstrengungen.

Wenn heutzutage in London der chinesische Botschafter zur Eröffnung feierlich verkündet, dass seine Regierung die Ausstellung in der Royal Academy begeistert unterstützt, mag das stimmen. Denn die Zeiten haben sich geändert. Und längst weiß China, dass internationaler Kulturaustausch für eine Wirtschaftsgroßmacht von enormem Nutzen sein kann.

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/08.01.2006/2276675.asp

 

 

with kind regards,

Matthias Arnold (Art-Eastasia list)

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