January 28, 2006: [achtung! kunst] *Ausstellung* : Kupferstichkabinett Berlin: Holzschnitte von Fang Lijun |
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Fang Lijun lächelt höflich, aber unergründlich, fragt man ihn, ob die kahlen, runden Männerköpfe auf seinen Holzschnitten irgendwie auch Selbstporträts sind. Er sagt nicht ja und auch nicht nein, steht vielmehr stoisch mit seinem glattrasiertem runden Schädel im Berliner Kupferstichkabinett - vor den monumentalen Rollbildern, auf denen es Rufer, wild Schreiende, Grinsende und Weinende gibt. Die meisten Papierbahnen zeigen kräftig ausholende Schwimmer, hastig gegen Strudel und Turbulenzen Kämpfende - und hilflos im Wasser Treibende. Unübersehbar geht es um Sein oder Nichtsein, Leben oder Tod. Dann nennt der Künstler diese energischen Gestalten im unerbittlichen Überlebenskampf mit den Elementen - diese Köpfe in kühlem Grau oder aber in schrillem Gelb, Orange, Rot - eine "Art Module". Sie seien typisch für die "modulare" chinesische Gesellschaft und Kultur, beginnend bei den Schriftzeichen. Er gibt seinen Bildern keine Titel, nur Entstehungsdaten. Der einzelne Mensch und die Masse - dieses Verhältnis interessiert ihn ebenso wie das von Macht, Unterordnung und Aufbegehren. Kunst, sagt Fang Lijun schließlich, entstehe aus Identifikation und Distanz, aus Realem und Abstraktem gleichermaßen. Und dann setzt der 42-Jährige hinzu, es sei wohl schon immer so gewesen, dass Menschenbilder in gewisser Weise auch Selbstporträts der Maler waren. Die Wucht der so monumentalen wie splittrigen Holzschnitte Fang Lijuns, diese Megaschraffuren und gewalttätigen Linienflüsse und Risse - selbst wenn er ein Neugeborenes darstellt und ihm greise Züge gibt - belegen: Ihn beschäftigt der Kreislauf von Werden und Vergehen, diese göttliche Dialektik, die der Mensch nicht beeinflussen kann. So gesehen sind die ungewöhnlichen Bilder des Pekingers brachial, zugleich unkonfessionell religiös. Der Pekinger gehört zur jungen Avantgarde aus dem Reich der Mitte - einer der wenigen, die im westlichen Kunstbetrieb aufgestiegen sind wie Kometen, mittlerweile auf keiner Biennale fehlen. Inzwischen finden sich seine Arbeiten, die durch den Galeristen Alexander Ochs nach Berlin kamen und von Erika und Rolf Hoffmann gesammelt wurden, in wichtigen Kollektionen des Abendlandes. Fang Lijun glaubt, das liege vor allem am "Label": Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. April 1989 hat der ausgebildete Porzellanmaler, Holzschneider und frischgebackene Absolvent der Zentralen Akademie der Schönen Künste Peking erlebt, was Staatsgewalt und Zensur bedeuten. Die Gruppenschau "China Avantgarde" war geschlossen, alle Bilder, darunter seine, waren verboten worden. Fortan malte Fang Lijun in grellen Farben riesige Köpfe - oft mit aufgerissenen Mündern oder grinsenden Mienen. Er reizte den Kontrast wie die Ambivalenz von Individuum und Massengesellschaft voll aus, spielte an auf Diktatur und Freiheitswillen. Weil die Bilder die chinesischen Verhältnisse und zugleich die Irritation einer jahrtausendealten hierarchischen Tradition so brachial reflektieren, haben sie im Westen Erfolg. Die Kunstkritik erfand dafür den effektvollen Begriff "Zynischer Realismus", dahinter stand die Botschaft, dass Chinas junge Avantgarde sich kühn und selbstbewusst dem Diktat der Partei entzieht, den Traditionen Neues hinzufügt und auch entgegensetzt, Elemente der Pop Art oder des Surrealismus etwa. Vom "Zynischen Realismus" seiner China-Kritik will Fang Lijun sich indes lösen. Existenzielle Zustände und groteske Emotionen interessieren ihn heute in universellen, globalen Zusammenhängen. Er verbindet den chinesischen Holzschnitt - eingesetzt seit der Tang-Dynastie (618-907) bis hin zum propagandistischen Holzschnitt unter Mao Zedong - mit europäischen Traditionen des Mediums. Ganz klassisch schneidet der Chinese seine Formen in Langholz oder Sperrholz, um sie dann in der sogenannten Puzzleform zu drucken: Dafür zersägt er den Holzstock, färbt die Teile unterschiedlich ein und kombiniert die Schattierungen der Farben. Dann fügt er die bedruckten Papierbahnen zusammen zu seinen überdimensionalen Formaten. Auf vier schwarz-weißen Holzschnitten sind die Köpfe jeweils nur von einem einzigen Strich umrissen, immer tauchen sie im Zentrum von Wellengebirgen auf. Mal sind es die Hände, mal der Mund, die die feinen Farbschattierungen voneinander abgrenzen. Überraschenderweise bezieht Fang Lijun sich in solch elementaren, emotional überwältigenden Kopf-Motiven auf die herben Drucke der Käthe Kollwitz, unübersehbar auf die existenziellen Motive des Expressionisten Edvard Munch, auf die Charakterköpfe Hogarths wie auf die düstere Formgewalt Goyas. So gelangt er zu einer fast schmerzhaft beeindruckenden Synthese von chinesischer und europäischer Bildsprache. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/521514.html
BZ, 28. Januar 2006 Fang Lijun, geboren 1963 in Handan, studierte in Peking und gehört seit 1989 zur im Westen gefeierten chinesischen Avantgarde. In Berlin vertritt ihn die Mitte-Galerie Ochs. Das Kupferstichkabinett Berlin gilt als Hort der abendländischen, in jüngerer Zeit auch transatlantischen Tradition der grafischen und zeichnerischen Kunst. Erstmals erhält nun ein Künstler aus China eine Einzelschau. Die Holzschnitte Fang Lijuns sind im Kupferstichkabinett am Kulturforum bis 17. April zu sehen, Di-Fr 10-18, Sa und So 11-18 Uhr. Katalog sieben Euro. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/521515.html?2006-01-28
Deutschlandradio, 25.01.2006 [image] Fang Lijun, 2000.5.20, Holzschnitt, Geschenk der Alexander Ochs Galleries an die Graphische Gesellschaft zu Berlin (Bild: Fang Lijun) Der chinesische Fang Lijun, 1963 geboren, ist einer der Stars der zeitgenössischen chinesischen Kunst, die seit den Neunzigerjahren auf offene Augen in der westlichen Kunstszene stößt. Fang Lijun ist aber nicht nur Maler. Er ist auch Druckgrafiker und hat er ein reiches Werk teils monumentaler Holzschnitte geschaffen. Erstmals ist nun eine Auswahl dieser Werke - in Verbindung mit Zeichnungen - in einer Museumsausstellung zu sehen, im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin. Fang Lijuns Medium ist das Gesicht. Gequälte oder von Freude verzerrte Gesichter, bei denen man manchmal nicht weiß, ob sie nicht vielleicht doch eher weinen; immer wieder die Gesichter von Ertrinkenden, Jubelnden oder Schlafenden und schließlich auch Gesichter in der Menschenmasse. An der Stirnseite der Ausstellungshalle des Kupferstichkabinetts hängt der monumentale, acht mal vier Meter breite und aus sieben goldroten Papierbahnen bestehende Holzschnitt, der einer von Fangs Meisterwerken darstellt. Rund zweihundert Gesichter einer bewundernd und vor Staunen schreienden Menschenmenge, jedes Gesicht aber zeigt bei aller Verzerrung einen individuellen Charakter, so als habe Fang Lijun einfach einmal sein Vorratsarchiv an Gesichtsausdrücken vollständig versammeln wollen. Aber auch die kleineren Formate sind eindrucksvoll, insbesondere die mehrfarbigen, für die die Holzstöcke vor dem Druck zersägt werden, um die Farbfelder differenziert auftragen zu können. Fang selbst sagt von sich, dass sich für ihn im menschlichen Gesicht am ehesten die existentiellen Grundzustände des Lebens darstellen lassen, besonders bei den Ertrinkenden, und dass es ihm schließlich darum gehe: den Menschen als Menschen zu zeigen, in seinen Bedürfnissen, seiner Angst, Lebensfreude, Einsamkeit, kurz, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Diese harmlos anmutende Selbstbeschreibung erhält vor dem Hintergrund der Situation in China und ihrer noch immer offiziell geforderten und geförderten Programmkunst eine etwas andere Bedeutung. Fang, der aus der Provinz Hebei stammt und heute in Peking lebt, absolvierte zunächst eine kunsthandwerkliche Ausbildung in Porzellanmalerei und Holzschnitttechnik, arbeitete in einer Werbeagentur, ehe er mit 21 Jahren ein Kunststudium an Central Academy of Fine Arts in Peking begann. Nach den gewaltsamen Zusammenstößen auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 wurde seine Malerei der so genannten Strömung des Zynischen Realismus zugerechnet. Er selbst sieht seine Kunst zwar als unabhängig von politischen Tendenzen und Ereignissen an. Gleichwohl kursiert sein Werk seit Anfang der neunziger Jahre in den USA und Europa als das eines begabten chinesischen "Kunst-Dissidenten". Und natürlich kann man die existenziellen Extremzustände, die Fang auf seinen Gesichtern abbildet, als Antithese zur Parteikunst und sozialistischen Realismus in China sehen, in dem immer noch das Heldentum aus dem Volke gepflegt wird. Die Holzschnitttechnik eignet sich mit ihrer immanenten materiellen Festigkeit dafür besonders gut, weil die bewegten Gesichter gleichsam aus der Starre des Materials hervorzutreten, sich gegen sie zu wehren scheinen. Bei den Staatlichen Museen in Berlin bemüht man sich dagegen, mögliche politische Konnotationen in Fangs Werk zurückzustellen. In Berlin hebt man für diese Präsentation auffallend traditionalistische Motive hervor: Holzschnitte passten eben gut zum Sammlungsbestand des Kupferstichkabinetts; zudem sei Fang einer der herausragenden jüngeren Künstler Chinas, und dann wird da noch die Spezialität bemüht, dass Fang ein bekennender Fan des Werkes von Käthe Kollwitz sei und man ihn schon deshalb einmal in Berlin zeigen wollte. Auch wenn all diese Gründe, insbesondere die Qualität von Fang Lijuns Werk unleugbar sind: Diese formelhafte Begründungspolitik bei den Staatlichen Museen zeigt dabei viel deutlicher, auf welch schmalem politischen Grat sich diese Präsentation bewegt, und auf welchem erst das Werk von Fang Lijun selbst. Dass sich bei der Eröffnung der Chinesische Botschafter in Deutschland zeigen wird, ist bemerkenswert und - möglicherweise - nach kulturpolitischer Lesart wichtiger als die Ausstellung selbst. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/462676/
with kind regards, Matthias Arnold (Art-Eastasia list) http://www.chinaresource.org __________________________________________ To (un)subscribe or to access the searchable archive please go to: For postings earlier than 2005-02-23 please go to: |
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