Neue Zürcher Zeitung, 30. November 2005
Viel Flügel
Eine Ausstellung in Salzburg zeigt junge chinesische Kunst
Wer Hangart 7 hört, denkt vielleicht am ehesten an einen anarchischen
Kunstraum irgendwo an der Peripherie einer Stadt - eine billige
Einrichtung in einer heruntergekommenen Flugzeughalle. Doch das
Gegenteil ist der Fall, Hangart 7 ist das Renommee-Projekt von Dietrich
Mateschitz, dem Gründer und Leiter der Firma Red Bull: Eine
schwindelerregende Blase aus Stahl und Glas, die wie ein Wassertropfen
neben dem Rollfeld des Salzburger Flughafens liegt. Hier können die
historischen Flugzeuge der Sammlung Red Bull bestaunt werden. In zwei
gläsernen Türmen, die aus der Blase ragen, ist ausserdem eine
gastronomische Weihestätte eingerichtet, wo sich die Starköche dieser
Welt in monatlicher Stafette die Löffel reichen. Doch Red Bull verleiht
in Salzburg nicht nur Flügel und Gastrosterne, sondern hebt seit kurzem
auch mit der Kunst ab.
Kleine Entdeckungen
Nach einem Auftakt mit österreichischer Malerei im Frühling dieses
Jahres sind derzeit die Werke von fünfzehn Künstlerinnen und Künstlern
aus China im Hangart 7 zu Gast - zu einem grossen Teil Malereien,
die
sich auf den «fliegenden» Wänden zwischen Propellermaschinen,
ehrwürdigen Düsenjets und den Weiten des Rollfelds erstaunlich gut
behaupten. - Kunst aus China ist derzeit weltweit «en vogue». Eine
Pionierleistung ist die Ausstellung also nicht. Allerdings haben der
Kurator Chang Tsong-Zung und die Projektleiterin Lioba Reddeker für
ihre
Schau Künstler und Werke ausgewählt, die mehrheitlich noch nicht
übermässig bekannt sind.
Eine kleine Entdeckung stellen in Salzburg etwa die Malereien von
Zhang
Enli dar, der sich als Landei in der Grossstadt eine bornierte Neugier
für das Mobiliar seiner Umwelt hat bewahren können. Er malt eine
Mülltonne mit der gleichen Akribie wie einen Gartenschlauch oder die
Äste eines Baumes. So lässt er die Dinge mit seinem Pinsel zu banalen
Ikonen werden, die sich unserer Wahrnehmung in fast schon unangenehmer
Weise aufdrängen - ein wenig wie Gedanken, die uns gerade nicht ins
Konzept passen und doch ihren Platz in unserem Kopf beanspruchen.
Ähnlich geht Li Qing vor, der mit seinen Bildpaaren auf humorvolle
Weise
unsere Aufmerksamkeit fordert: Unter dem Titel «Point Out the
Difference» führt er jeweils zwei gemalte Darstellungen derselben
Szene
vor. Diese unterscheiden sich einerseits in einigen Details der
jeweiligen Erzählung: Da werden Figuren hinzugefügt oder Gegenstände
entfernt, Signale verändert oder Gesten umgedeutet - ganz so, wie
wir
das von der Rätselseite in Zeitschriften kennen. Andererseits aber
unterscheiden sich die Bilder natürlich auch auf der Ebene der konkreten
malerischen Umsetzung - lassen sich doch weder die Striche exakt
wiederholen noch die Farbmischungen rekonstruieren. Und also gelangen
wir als Betrachter bei der Suche nach den Unterschieden schnell zu
eher
ästhetischen Fragen: Warum nur wirkt das linke Bild schlüssiger als
das
andere - und wie kommt es, dass uns der gleiche Mann auf dem linken
Bild
erheblich sympathischer ist als rechts?
Bei Law Man-lok hingegen verliert man sich in einem weiten Feld aus
ganz
unterschiedlichen, kunsthistorischen Referenzen. In manchen seiner
Werke
kombiniert er Zitate einer westlichen, abstrakten Kunsttradition mit
Motiven, wie sie für chinesische Holzschnitte typisch sind - und stets
sind seine Malereien mit surrealen Motiven durchsetzt: Da fliegt ein
kleiner Tiger quer durchs Bild, dort hebt bei Vollmond eine Pagode
ab,
hängt ein grüner Menschenkopf an einem Kaktus aus einer händeringenden
Blüte.
Verhaltene Posen
Surreal sind auch die Welten, in die uns Hung Tung-lu mit seinen
holographischen Bildern entführt: In seltsamen Blasen schweben Figuren
vor Glasbergen über Seerosenteiche - und winken uns dabei zu. Qiu
Zhije
lässt kleine Kugeln aus Knetmasse wie Meteoriten durch einen Nachthimmel
fliegen. Ma Yanhong malt Freundinnen und Bekannte in seltsam verhaltenen
Posen: Als warteten sie auf ein Leben, das noch nicht begonnen hat,
liegen sie auf Sofas herum, rauchen und legen Karten aus. Das Thema
von
Zhang Xiatao sind die Abfälle einer Gesellschaft, die sich mehr und
mehr
mit materiellem Überfluss auseinandersetzen muss: Reizvoll ist sein
riesiges Gemälde eines Tisches, auf dem die Überreste eines
Hummerschmauses ausgelegt sind.
Und wer sich in der lichten Halle auch sonst noch ein wenig umschaut,
wird zwischen den grossen Flugzeugen plötzlich eine kleine, glänzende
Chromstahlplastik von Shi Jinsong entdecken: Sie heisst «Baby Chair»
und
stellt einen Kinderwagen dar, an dem etwa auf Griffhöhe des Babys
zwei
Maschinengewehre befestigt sind: Engelmacher für das kleine Engelchen
also - da beissen einen vor lauter Flügeln doch fast schon die Federchen
in der Nase.
Samuel Herzog
Young Chinese Contemporary Art. Hangart 7, Salzburg. Bis 18. Dezember
2005. Katalog.
http://www.nzz.ch/2005/11/30/fe/articleDC4V2.html
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with kind regards,
Matthias Arnold
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