August 07, 2005:

[achtung! kunst] Pekings Gassen sollen leben
 
     
 


Welt, 18. Juli 2005
Pekings Gassen sollen leben
Ein Signal gegen die Stadtzerstörung: Die Unesco schützt die historischen Viertel um die Verbotene Stadt
von Johnny Erling

Denkmalschützer und städtische Kulturinitiativen in Peking dürfen sich freuen. Sie haben zum erstenmal seit Gründung der Volksrepublik einen Sieg gegen die fortschreitende Zerstörung des einst kaiserlichen Stadtkerns der Hauptstadt errungen. Die ehemaligen Wohnviertel um den weltberühmten Kaiserpalast mit seinen Goldenen Dächern dürfen von nun an nicht weiter abgerissen oder durch privaten Wohnungsbau kaputtmodernisiert werden.

Zumindest das, was von ihnen heute noch erhalten ist. Die UN-Kulturorganisation Unesco genehmigte auf ihrer 29. Kulturkonferenz im südafrikanischen Durban die von ihr angeforderten Pekinger Pläne zur Erhaltung eines Schutzgürtels um die 1987 zum Weltkulturerbe erklärte Verbotene Stadt. Die Innere Nordstadt wird nun mit ihren 1377 Hektar an traditionellen Hofhäusern, Straßenzügen und Seen als eine Art Puffer um das eigentliche Palastmuseum unter besonderen Schutz gestellt.

Die chinesischen Sonntagszeitungen bejubelten den Beschluß. Er mache den weiteren Abrißplänen einer unheilvollen Allianz von Parteifunktionären, Geschäftemachern und Bauspekulanten endlich einen Strich durch die Rechnung. Immer mehr Städter verlangen, angesichts des skrupellosen Umbaus wenigstens den historischen Kern der alten Kaiserstadt vor Spekulation und Stadterneuerung zu schonen. Fast 84 Prozent wollen die alten Straßenzüge um die Verbotene Stadt bis zum Trommelturm und den "Drei Seen" erhalten sehen, schrieb die "Pekinger Abendzeitung". Die maoistische Maxime, daß die Plätze längst Gestorbener den Bedürfnissen der heute Lebenden zu weichen haben, hätte zu lange das Denken der Planer und "das Schicksal unserer Stadt" prägen können, kommentierte die "Neue Pekinger Zeitung".

Die Einsicht der Pekinger Behörden, das Alte zu erhalten, kam spät und nur auf Druck von außen. Innerhalb der traditionellen Kaiserstadt ist von nun an der flächenweise Abriß verboten. Neubauten müssen "kulturangepaßt" geplant und dürfen nicht höher als neun Meter werden. Die staatliche Wohnungsverwaltung des Bezirkes Innenstadt muß ihren sechsstöckigen Bürokomplex auf halbe Höhe zurückbauen. Die Arbeiten für ein in der Nähe des Trommelturms geplantes neues Theaterhaus sind eingestellt worden.

Chinas renommierter Kulturexperte Xu Pingfang hofft, daß Peking zu einem Vorbild für andere Städte in China werden kann, die ihre historische Subtanz erhalten wollen. Für viele alte Nachbarschaftsviertel in der Kaiserstadt kommt die Entscheidung allerdings viel zu spät. Seit das Olympische Komitee Peking zur Stadt der Sommerspiele 2008 kürte, haben Staatsplaner und Baugesellschaften grünes Licht erhalten. Sie konnten seither ganze Stadtviertel platt machen. Ihre Bewohner erhielten finanzielle Abschläge und wurden in die Vorstädte vertrieben. Seit 2000 fielen im Durchschnitt 600 Hutong-Gassen pro Jahr dem rigorosen Pekinger Umbau zum Opfer. Für U- und Hochbahnen und vor allem für den privaten Massenverkehr - 2008 werden in Peking 3,5 Millionen Autos fahren - wurden sechsspurige Schnellstraßen durch die Innenstadt geschlagen.

1987 kürte die Unesco den 600 Jahre alten und wegen seiner dunkelroten Außenmauern "Purpurne verbotene Stadt" genannten Kaiserpalast zum Weltkulturerbe. Sie unterließ es, auch den Schutz der unmittelbaren Umgebung zu verlangen.

In ihren letzten beiden Sitzungen hatte sie Chinas Regierung aufgefordert, für eine Pufferzone zu sorgen, bevor die vorrückenden Hochhäuser und Zweckbauten den Palast buchstäblich erdrücken. Pekings einst harmonische in Nord-Süd-Anordnung konstruierte Innenstadt gleicht heute mit ihrem Wildwuchs an Baustilen von sozialistischem Klassizismus bis zu westlich postmodernen Experimentalbauten einem architektonischen Gruselkabinett.

Für viele Pekinger werden alle bisherigen baulichen Scheußlichkeiten von dem fast vollendeten Nationaltheater direkt vor dem Kaiserpalast übertroffen. Der 2001 begonnene umstrittene Superbau mit Opernhaus, Konzert- und Theaterhallen für mehr als 5000 Besucher wird von einer 46 Meter hohen, freistehenden Kuppel überdacht. Chinas ehemaliger Parteichef wünschte sich den in einem Teich gelegenen Prestigebau vom französischen Architekten Paul Andreu, der ihn als "schimmernde Perle" konstruierte. Pekinger verspotten die ovale Riesenkugel als "französisches Ei", als " Grabhügel" und als Mahnmal für die verschwenderische Prunksucht des heutigen China.

http://www.welt.de/data/2005/07/18/747136.html

 

 

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with kind regards,

Matthias Arnold
(Art-Eastasia list)


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