kunstmarkt.com, 03.08.2005
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing
Eine „Neue Kulturrevolution“ im Reich der Mitte
Museumsboom in China
[image] Modell für den Neubau des Chinesischen Nationalmuseums von
Gerkan, Marg und Partner
Neue Herausforderung China: Masterpläne, Zukunftsutopien und in rasantem
Tempo realisierte Mammutbauprojekte, die ganze aus dem Boden gestampfte
Retortenstädte umfassen, kommen derzeit jedem in den Sinn, der sich mit
dem Wandel und dem ungebremsten Fortschrittsglauben im Reich der Mitte
beschäftigt. Doch geplant und gebaut werden nicht nur neue
Konzernzentralen, Sportstadien, Einkaufszentren und Wohnanlagen. China
rüstet sich für eine gigantische Welle von Museumsneubauten im ganzen
Land. Die chinesische Regierung möchte bis zum Jahr 2015 rund 1000 neue
Museen bauen und setzt damit auf den Standortfaktor Kunst. Allein
Beijing plant 32 neue Museen bis 2008 und Shanghai, Gastgeberstadt der
Expo 2010, will bis dahin gar 100 neue Museen entstehen lassen.
Gigantische Großprojekte wie die Überbauung des ehemaligen Hafengebietes
New Kowloon in Hong Kong, für das man mit Architekturstars wie Herzog &
de Meuron, Norman Foster aber auch mit dem Garanten für spektakuläre
Museumsbauten weltweit, Frank O. Gehry, bereits Verhandlungen geführt
hat, sind in die Schlagzeilen geraten.
Daneben gibt es unzählige kleinere Projekte für Privatmuseen, etwa von
chinesischen Künstlern, die im Ausland Erfolge feiern und sich in ihrer
Heimat bereits zu Lebzeiten ein Denkmal setzten wollen oder von reichen
Privatsammlern wie Guang Yi aus Beijing, der bereits vier Privatmuseen
in der chinesischen Hauptstadt realisiert hat und diese mit seiner
eigenen Sammlung chinesischer Gegenwartskunst bespielt.
Bei aller Euphorie mehren sich die Stimmen kritischer Beobachter, die
den Museumsboom mit einer offen geführten, inhaltlich orientierten
Debatte begleiten wollen. Im Rahmen der Kunstmesse Art Basel gab es
jetzt erstmals in Europa ein hochkarätig besetztes Podium mit
Architekten, Kuratoren, Künstlern, Sammlern und Museumsdirektoren aus
China, die unter der Leitung des Schweizer Ausstellungsmachers und
Asien-Kenners Hans-Ulrich Obrist die gegenwärtige Situation in China
analysierten, kritisch hinterfragten und Ideen für eine
Zukunftsstrategie der Museumslandschaft in China entwarfen.
Die im Westen und in China tätige Kuratorin Chaos Yang Chen sieht die
neue Aufgabe eines Museums darin, die „Evolution gesellschaftlicher
Prozesse zu begleiten“. Sie versteht das Museum eher als offenes
Diskussionsforum, als „Campus ohne Wände“ und nicht als Ort, in dem
ausschließlich fertige Kunstwerke gezeigt werden sollen. Die Überlegung,
in einem Museum den Denkprozess abzubilden und nicht die Kunst selbst,
ist natürlich eine sehr intellektuelle, vielleicht auch
zukunftsweisenden Vorstellung, die den Planern, Machern und Investoren
in China sicherlich nicht gefallen wird.
Der international versierte Kurator Hou Hanru hingegen warnt vor der
Selbstgefälligkeit, dem Machtmissbrauch und der blinden Bauwut
chinesischer Politiker und Investoren, wenn es um neue Museen geht. Für
viele Museumsneugründungen gebe es schlichtweg kein Programm, kein
Personal, keine Sammlung und keinen Plan. Der quirlige Hanru, der vor
zwei Jahren einer der Co-Kuratoren der Biennale in Venedig war, sieht in
dieser Planlosigkeit grundsätzlich noch keinen Hinderungsgrund, die
Dynamik zu stoppen: „Kein Programm zu haben, ist eigentlich gar kein
Problem. Dann steht man vor der Notwendigkeit, sich etwas auszudenken.
Wichtig ist, dass man seine kritischen Strategien bewahrt.“ Gleichzeitig
warnt Hanru vor einer für China typischen „Gentrification“, also der
schnellen Umwandlung ganzer Stadtviertel. In Stadtviertel, wo zuerst
Künstler ihre günstigen, improvisierten Ateliers hatten, ziehen
mittlerweile innerhalb kürzester Zeit schicke Galerien, gestylte
Restaurants und aus dem Boden gestampfte Museen und bewirken in
Windeseile eine drastische Erhöhung der Mieten und somit die Vertreibung
der Künstler. In New York nannte man das den „Soho-Effekt“.
Der Schweizer Kunstbegeisterte Uli Sigg, der als einer der
profiliertesten Sammler von chinesischer Gegenwartskunst gilt und als
ehemaliger Botschafter seines Landes in China ein genauer Kenner des
Landes ist, beobachtet mit abwartender, analytischer Distanz den
ungebremsten Museumsboom. „Museen sind nur die Hardware. Es mangelt an
Software, und das sind die Menschen, die Künstler, die ein Museum erst
ausmachen.“ Die Absichten seien gut, aber es gäbe nicht genügend
finanzielle und personelle Kapazitäten, die Museen adäquat zu bespielen.
In China sind kaum Sammlungen, weder private noch öffentliche, von
chinesischer Gegenwartskunst vorhanden. Regierungsbeamte aus völlig
fachfremden Bereichen werden einfach als Ausstellungsmacher an ein
Museum versetzt und sind logischerweise überfordert. Windige Investoren
entwerfen große Pläne für ganze Museumsstädte, verlieren aber schnell
wieder das Interesse oder gehen schlichtweg bankrott.
Der Direktor des Guangdong Museum of Art, Wang Huangsheng, hingegen
setzt auf eine schnelle Entwicklung des Kunstmarkts in China: „Was wir
für China wünschen, wäre eine Kunstmesse wie die in Basel.“ Eine Idee,
die vielleicht gar nicht so abwegig ist. Auch wenn Uli Sigg beobachtet
hat, dass „bisher kaum jemand in China in der Lage ist, zeitgenössische
Kunst überhaupt zu verstehen“, schließt er nicht aus, dass in einem
immens schnellen Aufholprozess der Zugang zur zeitgenössischen Kunst
auch für ein breiteres Publikum möglich wird. Chinesen lernen
bekanntlich schnell. Oder wie es der Pekinger Privatsammler Guang Yi
formuliert: „Es kann alles passieren, auch etwas total Übertriebenes.“
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with kind regards,
Matthias Arnold
(Art-Eastasia list)
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