sz, 19/20.7.
Das Glas erheben und den Mond genießen
Chinas kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum in Taiwan ist
nun in Berlin zu bestaunen
Mit offenem Haar, einem Hirschfellumhang, langen Fußnägeln und Respekt
gebietendem Drachenantlitz, das energisch am Betrachter vorbei blickt, sitzt
vor Felsen der mythische Urkaiser Fu-hsi. Zu seinen Füßen sind die Acht
Trigramme und eine Schildkröte zu sehen. Diese 2,50 Meter lange Hängerolle
hat mit Tusche und hellen Farben Ma Lin, ein Künstler des dreizehnten
Jahrhunderts, auf Seide gemalt. Unter zwei Sung-Kaisern hatte Ma Lin eine
hohes Amt an der kaiserlichen Akademie der Malerei inne. Auf der Hängerolle
steht auch eine Aufschrift des Sung-Kaisers Li-tsung.
Aufgrund der gelassenen, in sich ruhenden Stärke des Herrschers, von dem man
nicht sicher sein kann, ob er zum Sprung ansetzt oder ewig in dieser
Stellung verharren wird, gehört das Sitzbildnis Fu-hsis zu den
eindrucksvollsten Werken aus der Kunstsammlung der chinesischen Kaiser. Aber
verstehen wir es richtig mit unserem dürftigen Wissen über Chinas
Kulturgeschichte? Verstehen wir die Werke besser, wenn wir nachlesen, dass
Päonie und Phönix für Wohlstand und Vornehmheit, Kiefern, Bambus, Möwen und
Gänse aber für Zurückgezogenheit und Muße standen?
Vierhundert Meisterwerke aus der Sammlung der chinesischen Kaiser, darunter
Gemälde, Kalligraphien, Bücher, Porzellan, Keramik, Jade und Bronzen, sind
jetzt im Berliner Alten Museum zu bestaunen. Wer unter ihnen auf und ab
wandelt, merkt schnell, dass ihm Begriffe, dass ihm Seherfahrungen fehlen.
Das Mandat des Himmels
Die Acht Trigramme nebst einer „Karte der Flüsse“ wurden dem Urkaiser Yü
einst von einer Schildkröte überbracht. Er gewann auf diese Weise Einsicht
in die Gesetzmäßigkeiten von Himmel und Erde, jenes magische Charisma, das
„Mandat des Himmels“, kraft dessen jeder chinesische Kaiser herrschte. Als
Verpflichtung auf die rituellen und ethischen Vorschriften der klassischen
Schriften ist auch das Sitzbildnis des Urkaisers Fu-hsi zu verstehen. Indem
sie sich in die Tradition stellten, das Gelten ewiger Ordnungen
akzeptierten, rechtfertigten die Kaiser ihre Regentschaft.
Von Ning-tsung aus der Sung-Dynastie, auch er mit erhabener Nase und
Drachenantlitz porträtiert, wird berichtet, dass er sich nicht über alte
Gebräuche und Regeln erhob, kaum Änderungen im Staate vornahm. Eben aufgrund
dieses Traditionalismus ist die Geschichte der kaiserlichen Kunstsammlungen
vor allem eine Geschichte der Kontinuität. Wenn eine neue Dynastie die
Herrschaft antrat, legte sie Wert darauf, die Sammlung ihrer Vorgänger zu
erhalten oder wiederherzustellen, um auf diese Weise zu zeigen, dass sie das
„Mandat des Himmels“ besaß. Seit dem 11. Jahrhundert wurden die Sammlungen
katalogisiert.
Nach der Vertreibung des letzten Kaisers aus der Verbotenen Stadt richtete
die Republik China 1925 das Palastmuseum ein, dessen Schätze, mehr als
600000 Objekte, 1933 in Kisten verpackt und aus Peking evakuiert wurden, um
sie vor den japanischen Invasoren zu retten. Im Winter 1948/49 ließ Chiang
Kai-shek sie nach Taiwan verschiffen. Dem Zugriff der Kulturrevolutionäre
waren sie so entzogen.
Nach zehn Jahren Verhandlungen ist es der Kunsthalle Bonn und den
Staatlichen Museen zu Berlin nun gelungen, eine Ausstellung mit Schätzen aus
dem Nationalen Palastmuseum Taipeh erstmals auch nach Deutschland zu holen.
Als Gegengabe wird im nächsten Jahr die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
deutsche Kunst in Taipeh präsentieren.
Die Ausstellung in Berlin, mit Werken vom Neolithikum bis zur letzten, der
Ch’ing-Dynastie, ist chronologisch geordnet. Aber das uns vertraute
Fortschrittsmodell von Aufstieg, Blüte und Verfall taugt kaum, die
Geschichte der chinesischen Kunst zu verstehen. Wer etwa die großartigen
Landschaften betrachtet, erahnt eine Kunst der raffinierten Variation, eine
Kunst für wenige Kenner, die Eleganz, Unaufdringlichkeit, Abweichung im
Kleinsten zu schätzen und anzuerkennen wussten. Meist bediente man sich
transportabler Bildtypen, der Querrolle oder des Albums, die auf einem Tisch
ausgelegt wurden, oder der Hängerolle, die zur Betrachtung im Kreis der
Kenner aus einem Kasten geholt werden musste.
„Je schlichter die Pinselführung, umso erhabener ihr Ausdruck, je spärlicher
die Landschaft, um so tiefer ihr Sinn“, heißt es über das Werk Kuan T’ungs,
der von 907 bis 923 tätig war. In Berlin sind seine „Herbstlichen Berge in
der Abenddämmerung“ zu sehen: steile Berggipfel, schwere Felsen, kleine
Bäche, Wasserfälle, Bäume mit rötlich gefärbten Blättern und vertrockneten
Ästen. Während diese Motive in Europa zur Darstellung des Erhabenen oder
Melancholischen dienen, vermitteln sie hier ein Bild unergründlicher Ruhe,
eines unpersönlichen, sich immer gleichen zeitlosen Seins.
Über zwei Meter lang, einen Meter breit und auf berückende Art vollendet ist
die Hängerolle Chung Ch’in-lis, Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gemalt.
Über Wolken und Dunst erhebt sich schroffer Felsen, im Vordergrund sitzt auf
mondbeschienener Terrasse, unter knorrig verwachsener Kiefer, ein Gelehrter
mit Diener und erhebt die Weinschale: „Das Glas erheben und den Mond
genießen“. Das Thema ist einem Gedicht aus dem achten Jahrhundert entnommen
„Allein proste ich dem Mond zu. Mit meinem Schatten zusammen sind wir schon
zu dritt.“ Der Ming-Kaiser Hsiao-tsung soll einst hinter Chung Ch’in- li
gestanden und diesem beim Malen still zugeschaut haben. Plötzlich fasste er
sich an seinen Bart und rief aus: „Ein Unsterblicher ist in die Welt
gekommen!“ Das Bild wirke, wie von Geisterhand gemalt. Der Maler ließ sich
den Ausruf kaiserlicher Begeisterung in ein Siegel gravieren, mit dem er von
nun an seine Bilder signierte.
Trotz der starken Kontraste zwischen hellen und dunklen Partien wirkt auch
dieses Bild in sich gerundet, harmonisch nicht durch Ausgleich der
Gegensätze, sondern durch deren Einordnung in ein überzeitliches Ganzes. All
die Motive, die in der europäischen Malerei aus der Welt führen, scheinen
hier zur Versenkung in die Welt einzuladen, zum Eintritt in ein stetiges,
ungestörtes Dasein.
Die Sammlungen auch kleiner europäischer Fürsten sind gewiss oft opulenter,
farbenfroher, prächtiger. Gesten der Überwältigung, des Auftrumpfens finden
sich in dieser Auswahl aus der Sammlung kaum. Und exotisch wirken erst jene
Werke, die im Kontakt zu anderen Kulturen entstanden, etwa eine Dose aus dem
achtzehnten Jahrhundert. Auf der Oberseite des Deckels sieht man einen
Hafen, Schiffe, beflaggte spitzhelmige Türme. Davor kokettieren ein Herr und
eine Dame, unverkennbar Europäer, miteinander. Nur der Felsen und die Bäume
verraten den chinesischen Künstler.
Dies ist einmal keine kulinarische Ausstellung zum flinken Durchlaufen. Die
Texte, die auf vielen Bildern zu finden und deren gleichberechtigter Teil
sind, wollen studiert, die verschiedenen Landschaftsmotive verglichen
werden. Wer sich Zeit dazu nimmt, kann hier wieder staunen lernen.
JENS BISKY
Bis zum 12. Oktober im Berliner Alten Museum am Lustgarten. Der Katalog
kostet 26 Euro.
(http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel595/)
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Matthias Arnold M.A.
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