July 8, 2003:
"Programm für das digitale Nationalarchiv" der Academia Sinica (Taiwan)
 
     
 


COMPUTERISIERUNG
Die vernetzte Gesellschaft: Eine digitale Sammlung

Schon seit einiger Zeit haben viele Institutionen ihre Archive durch das
Internet zugänglich gemacht. Nun hat Taiwans führendes Forschungsinstitut,
die Academia Sinica , das "Programm für das digitale Nationalarchiv"
initiiert, das mehrere Sammlungen zu einem elektronischen Archiv im großen
Stil zusammenfassen soll.

von Kelly HER

Ein lästiger Aspekt bei Forschung ist seit jeher die Rennerei. Benötigtes
Material kann an tausend verschiedenen Orten herumliegen, in Bibliotheken,
Museen, Archiven, Instituten, Behörden und so weiter, so dass die
Durchführung einer Forschungsarbeit mitunter ein zeitraubendes und
frustrierendes Unterfangen ist. Einfach nur herauszufinden, wo für ein
bestimmtes Thema relevante Materialien aufbewahrt werden, kann bereits der
erste Stolperstein sein. Nun stelle man sich vor, man könne alle diese
Archive durch ein gemeinsames Eingangstor betreten, oder noch besser, dieser
Sesam würde sich dem Benutzer per Mausklick öffnen.

In Taiwan, ohnehin schon eine bemerkenswert gut vernetzte Insel, soll durch
ein staatlich gefördertes Programm mit der Bezeichnung "Programm für das
digitale Nationalarchiv" ( National Digital Archives Program, NDAP) ein
solches universales Informations-Portal geschaffen werden. Das Projekt
basiert auf einer digitalen Sammlung, in der archivierte Materialien online
dargestellt werden. "Eine digitale Sammlung soll eine langfristige
Datenspeicherung und Nutzbarkeit gewährleisten, und immer mehr Menschen
werden sich ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Förderung der Kultur
bewusst", wirbt Ho Jan-ming, stellvertretender Direktor des Instituts für
Informationswissenschaften in der Academia Sinica.

Das Digitalarchivprogramm wird im Auftrag des Nationalen Wissenschaftsrates
( National Science Council, NSC) im Exekutiv-Yuan von der Academia Sinica
geleitet, der bekanntesten und erlesensten Denkfabrik der Insel. Im Januar
2002 wurde offiziell die erste Phase des NDAP gestartet, die 2006
abgeschlossen sein soll und über ein Anfangsbudget von 38 Millionen NT$
(1,02 Millionen Euro) verfügt. Die Ausgaben für diesen Fünfjahresplan sollen
jedes Jahr um 20 Prozent steigen.

Schon vor dem Beginn des NDAP hatte die Academia Sinica nach Hos Angaben
mehrere Jahre lang die Auswirkungen der Informationstechnologie auf sozialen
und kulturellen Austausch studiert und außerdem experimentelle Projekte
durchgeführt, um die Durchführbarkeit einer Digitalisierung der nationalen
Kulturgüter zu erforschen. "Wir können mit Stolz feststellen, dass wir im
Vergleich mit anderen Ländern an der vordersten Front der Entwicklung
stehen", meldet Ho.

Im Jahre 1998 wurde in einem Projekt mit der Bezeichnung "Digitales Museum"
mit der Katalogisierung von online zugänglichen Kunstwerken in Taiwans
Museen begonnen. Als einzelne Institutionen ihre Archive digitalisierten,
stellten sie fest, dass sie die Forschung durch die Verbindung ihrer Archive
mit anderen erleichtern konnten. Das führte 1999 zum "offenen digitalen
Archivumfeld", in dem versuchsweise Kooperationsmechanismen entwickelt,
technische Standards für Systementwicklung umgesetzt sowie Richtlinien für
die Vorstellung des Inhalts computerisierter Dokumente aufgestellt wurden.
Es war, als ob die Institutionen, die quasi jede ihre eigene Sprache hatten,
zur Kommunikation in der digitalen Welt ein gemeinsames Idiom erlernen
mussten.

Diese zwei Pionierprojekte, an denen Dutzende von Hochschulen und
Forschungsorganisationen teilnahmen, wurden zu den Vorläufern des NDAP. "Mit
dem NDAP sollen die komplizierten Bedürfnisse von unterschiedlichen
Sammlungen befriedigt werden, und man will eine effizientere, zuverlässigere
und bequemere Schnittstelle für die Informationssuche schaffen", erläutert
Ho. "Außerdem haben wir die Absicht, durch die Integration von Materialien
aus Bibliotheken, Museen und Archiven mittels Digitalisierung eine
zentralisierte Datenbank aufzubauen."

Die Ziele des NDAP sind laut Ho vielfältig -- Bewahrung und Bekanntmachen
der nationalen Kulturschätze, Verbesserung von Bildung und Lernen,
Verbesserung von Informationstransfer und Lebensqualität, Förderung der
Unabhängigkeit und Stärke der kulturellen Branchen sowie Förderung der
internationalen Zusammenarbeit und Teilen von Ressourcen.

Technisch gesehen hat die Digitalisierung nach Hos Worten zwei Ziele. Zum
einen sollen Computerkapazitäten und Netzwerk-Bandbreiten zur Verwaltung
riesiger Mengen komplizierter Daten und ihrer Umformung zu zugänglicher
Infor mation genutzt werden. Zum anderen sollen bestehende und neue
Nutzergemeinschaften auf verschiedenen Bildungsniveaus leichteren Zugang
erhalten und das Material besser nutzen können.

Das Endziel besteht im Aufbau einer inhaltsorientierten und
netzwerkgestützten beherrschbaren
Multimedien -Informationsmanagement-Infrastruktur. Mit anderen Worten, eine
einzelne Website als Zugang zu Informationen, die in den Archiven des Landes
zu finden sind. Bis jetzt haben sich neun größere Datenbesitzer an diesem
Großprojekt beteiligt: die Academia Sinica, die Academia Historica, der Rat
für Kulturangelegenheiten, das Nationale Geschichtsmuseum, die
Nationalbibliothek, das Nationale Museum für Naturwissenschaften, das
Nationale Palastmuseum, die National Taiwan University sowie das Amt des
Provinzarchivs Taiwan.

Ein Archiv, das die Ressourcen dieser Institutionen vereint, würde Zugang
bieten zu unterschiedlichen Themen wie Kalligrafie, Botanik,
Bronzeabreibungen oder Zoologie. "Eine digitale Sammlung enthält ein
unbegrenztes Potenzial für die Präsentation und Erweiterung
unterschiedlichen Inhalts", glaubt Ho. "Es besteht ein enger Zusammenhang zu
unserer Kultur- und Bildungsentwicklung der nahen Zukunft, denn eine solche
Sammlung bringt neue Gelegenheiten und neue Herausforderungen."

Die Digitalisierung der Nationalarchive hätte auch einen
"demokratisierenden" Effekt, da man leichter Zugang zu den Sammlungen
erhält. Studierende können in den Archiven herumstöbern und Dinge lernen,
die nichts mit dem Unterricht zu tun haben, und die Lehrer haben dank der
Archiv-Links neben den üblichen Lehrbüchern mehr Lehrmaterial zur Auswahl.
Das Projekt soll Lernen interessanter und leichter zugänglich machen.

"Wir hoffen, dass die vielfältigen digitalen Sammlungen das Leben der
Menschen bereichern und es ihnen gestatten, dem ständigen Lernen zu frönen
und eine globale Perspektive aufzubauen", sagt Ho. "Sie können außerdem die
Entwicklung der inländischen Multimedien- und Internetbranche fördern, so
dass Taiwan noch schneller in eine e-Gesellschaft umgewandelt werden kann."

(Deutsch von Tilman Aretz)
http://www.gio.gov.tw/info/nation/ge/fcr97/2003/2/p28.htm

(Taiwan heute, 2003.02)

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Matthias Arnold M.A.
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